„Der Kongo ist das Comic-Zentrum des afrikanischen Kontinents“

Seit Mitte November ist im Dortmunder schauraum comic + cartoon die Ausstellung „Black Comics“ zu sehen. Mit circa 100 Originalwerken und viel Archivmaterial werden Schlaglichter auf die Genealogie von schwarzen Figuren im Comic und ihre Macher*innen geworfen. Im Presse-Interview erläutert Kurator Alexander Braun die Geschichte der „Black Comics“.

Nach dem sensationellen Erfolg Deiner Simpsons-Ausstellung mit fast 30.000 Besucherinnen und Besuchern trägt die neue Ausstellung den Titel „Black Comics – Vom Kolonialismus zum Black Panther“. Also eher schwere Kost, zumindest im Vergleich zu den Simpsons. Erzähl uns doch bitte, was sich hinter dem umfassenden Titel verbirgt und wie es zu der Idee der Ausstellung kam.

Nun, Themen wie Kolonialismus, Postkolonialismus und Rassismus sind gerade höchst virulent und werden derzeit allenthalben kontrovers diskutiert. Wir haben uns vor solchen gesellschaftlichen Debatten mit unserem kleinen Museum von Beginn an nie weggeduckt, sondern verstehen unseren Bildungsauftrag auch im Hinterfragen dieser Themen: Was ist von Seiten des Mediums Comic dazu zu sagen?! So haben wir etwa eine Ausstellung zum Thema Zweiter Weltkrieg im Comic gemacht und immer wieder Faschismus und Antisemitismus thematisiert, bis hin zum Holocaust. Im nächsten Jahr wird es eine Ausstellung mit Comic-Künstlern aus der Ukraine geben. Am Ende ist es also ein Mix aus eher comic-spezifischen, „leichteren“ Themen und solchen, die stärker eine gesellschaftliche Relevanz haben.

Was genau sind denn „Black Comics“? Wie würdest du den Begriff im Rahmen der Schau definieren?

Wir haben versucht, allen Aspekten gerecht zu werden: ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Das heißt, zum ersten schauen wir auf die Entwicklung von schwarzen Comic-Figuren von 1905 bis heute. Das bedeutet zwangsläufig – von wenigen Ausnahmen abgesehen –, dass diese von weißen Künstlern gezeichnet wurden. Die Gesellschaften in den USA und Europa waren so rassistisch, dass Schwarze den Beruf des Comic-Zeichners nur sehr selten ausüben konnten. Einen Paradigmenwechsel gab es dann erst infolge der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren. Dieser Zeit haben wir schwarze Superhelden wie den Black Panther – und viele mehr – oder im Kino die Blaxploitation-Welle zu verdanken. Dass schwarze Comic-Zeichner dann zunehmend auch ihre eigenen schwarzen Inhalte, wie Graphic Novels zum Leben von Martin Luther King o. ä., realisieren konnten, ist erst eine Entwicklung der 1980er- und 1990er-Jahre. Darüber hinaus schauen wir aber auch auf Afrika, insbesondere zu Comic-Künstlern und -Autorinnen aus dem Kongo. Der Kongo ist so etwas wie das Comic-Zentrum des afrikanischen Kontinents: 50 Prozent der afrikanischen Comic-Kreativen stammen von dort.

Wer sich mit Kolonialismus im Comic bzw. der Darstellung von schwarzen Menschen im Comic beschäftigt, wird zwangsläufig auf Hergés „Tim im Kongo“ stoßen. Das Album von 1929 ist berüchtigt für seine kolonialen Untertöne. Der Band ist bis heute umstritten. Noch 2012 war er in Belgien Gegenstand eines (gescheiterten) Verbotsverfahrens und wird auch künstlerisch immer wieder kritisch zitiert, z. B. im Werk des südafrikanischen Künstlers und Satirikers Anton Kannemeyer. Welche Rolle ordnest du dem Band in Bezug auf die Comicgeschichte ein?

„Tim im Kongo“ ist tatsächlich ein Paradebeispiel für überheblichen Kolonialismus und Paternalismus. Die Schwarzen werden hier fast durchweg als dumm und faul charakterisiert. Sie bedürfen der Erziehung durch die belgische Kolonialmacht und ihre christlichen Missionare. Zur Ehrenrettung von Hergé muss man allerdings anmerken, dass er erst 23 Jahre alt war und ihm das Thema von seinem Redakteur, einem katholischen Priester, der mit dem Faschismus liebäugelte, aufgezwungen wurde. Dennoch muss man es ganz klar benennen: eine ganz unschöne Attitüde, und man kann sich nur am Kopf kratzen, warum „Tim im Kongo“ durchgehend bis heute stets auf den vordersten Rängen der bestverkauften „Tim und Struppi“-Alben rangiert. Aber gleich danach wird es ambivalent. Das ist übrigens eine sich durchziehende Erfahrung bei der Vorbereitung zu dieser Ausstellung gewesen: Entgegen meinen eigenen Erwartungen gab es nie eindeutig Gut oder Böse, sondern immer große Ambivalenz. Schatten, aber auch Licht. Für „Tim im Kongo“ bedeutet das zum Beispiel die erstaunliche Tatsache, dass die meisten Menschen im Kongo das Album lieben. Außerdem ist „Tim im Kongo“ maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Comic-Szene im Kongo so stark ausgeprägt ist. Das heißt: Der Stolz darauf, dass eine der berühmtesten Comic-Figuren der Welt zu Besuch im Kongo war – und nicht in Kenia oder Nigeria – sticht dort alle kolonialen Aspekte aus. Und dann gibt es da noch bemerkenswerte Wortmeldungen von kongolesischen Printmedien während der 1970er-Jahre, die beklagten, dass das Album, aus ebenjenen rassistischen Gründen, für einige Zeit nicht wieder aufgelegt worden war. Das Wochenmagazin „Zaire“ schrieb, dass es für schwarze Menschen unfassbar lustig sei, zu lesen, für wie doof die Weißen die Schwarzen halten: Wie einfältig können Weiße sein, dass sie Schwarze so darstellen?! Das hat das schwarze Publikum amüsiert. Das meine ich mit ambivalent. Wir müssen immer genau hinschauen, gewissenhaft kontextualisieren und das ganze Bild nachzeichnen.

Im Gegensatz zu Hergé machte sein Zeitgenosse und Landsmann Jijé in der Serie „Blondin et Cirage“ ab 1939 einen schwarzen Jungen zum Titelhelden. Worin unterschied sich die Darstellung der schwarzen Figuren bei Jijé?

Optisch unterschieden sie sich überhaupt nicht, aber inhaltlich verhielt sich der Comic von Jijé diametral zu dem von Hergé. Jijé, der ebenfalls aus einem konservativen, katholischen Milieu stammte, war seinerzeit bereits erschrocken über die missionarische Überheblichkeit, die in „Tim im Kongo“ herrscht und wollte dem etwas entgegensetzen. Das war sein Titelheld Cirage, der nicht nur schwarz, sondern seinem Gefährten Blondin auch intellektuell überlegen ist. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: ein schwarzer Comic-Held für ein überwiegend weißes Publikum in einer erzkatholischen Zeitschrift für Kinder, zu einer Zeit, in der Belgien von den Nazis besetzt war! Wenn Jijé jetzt noch selbst ein Afrobelgier gewesen wäre, wäre es perfekt gewesen.

Wie steht es denn um stereotype Darstellungsweisen: große Lippen, große Augen?

Dazu wäre sehr viel zu sagen. Wir tun das in der Ausstellung, und ich thematisiere das ausführlich in der begleitenden Publikation. Das ist mittlerweile ein bizarrer Automatismus geworden, der von aktionistischer Seite stark befeuert wird: große Lippen bei Comic-Figuren = Rassismus! Ich weiß nicht, wo das herrührt oder wer diese Erkenntnis wissenschaftlich „erarbeitet“ hat? Vielmehr scheint es sich um ein diffuses „Gefühl“ zu handeln und die falsche Annahme, dass künstlerische Produkte, die in rassistischen Gesellschaften entstanden sind, automatisch rassistisch seien. Dabei werden ganz wesentliche Kontexte übersehen, sowohl zeithistorische als auch solche, die spezifisch mit dem Comic zu tun haben, also einer Kunstform, die aus Zeichnungen besteht.

Kannst Du das erläutern?

Zunächst wäre anzumerken, dass ein bestimmter Grad an Stereotypisierung zum Handwerkszeug von Satire und Karikatur gehört. Die Frage ist also nicht, ob es Stereotype gibt, sondern mit welcher Absicht sie eingesetzt werden: Wer ist der Urheber? Welche Absticht steckt dahinter? Wenn die Motivation rassistischer Natur ist, ist die Sache klar. Ist sie das nicht, handelt es sich lediglich um eine legitime satirische Überzeichnung. Weiterhin muss immer mitgedacht werden, dass mit schwarzer Tusche auf weißem Papier gezeichnet wird – und das in der Regel unter hohem Zeitdruck. Man kann keine weißen Linien auf schwarzen Flächen zeichnen. Das bedeutet, dass eine weiß ausgesparte Fläche für die Lippen eine Grundvoraussetzung dafür darstellt, bei einer schwarzen Figur dennoch eine schwarze Mundlinie zeichnen zu können. Also häufig eher eine Arbeitserleichterung als Rassismus. Last but not least: Wem frühe schwarze Comic-Figuren marginalisiert vorkommen, der sollte bedenken, dass fast alle Comic-Figuren des frühen 20. Jahrhunderts Randgruppen der Gesellschaft angehören: das „Yellow Kid“ ist ein irisches Einwandererkind im Großstadt-Ghetto mit kahlgeschorenem Schädel (wegen der Läuse), „The Katzenjammer Kids“ handeln von einer deutschen Einwandererfamilie, die kein richtiges Englisch spricht, „Happy Hooligan“ ist ein obdachloser Tramp, der eine leere Konservendose auf dem Kopf trägt etc. Diese Minderheiten-Figuren interpretieren wir allerdings als positiv. Wir empfinden es als eine Aufwertung, dass sie Comic-Helden sein dürfen. Nur die schwarzen Figuren nicht. Da sagen wir per se: Das ist rassistisch! Dabei gilt auch für sie: Das Entscheidende ist, dass es sie inmitten einer rassistischen Gesellschaft überhaupt gibt und dass mit ihrer Hilfe auch ein schwarzes Publikum als Zielgruppe adressiert wird. Soll heißen: Ihr bloßes Vorkommen im Kanon der Comic-Figuren ist unter Umständen viel bedeutender als das Momentum des Stereotypen – für das damalige Publikum ohnehin.

Du hast auch eine deutschsprachige Künstlerin in der Ausstellung, die Hamburger Zeichnerin Birgit Weyhe, die sich in ihren Comics viel mit deutsch-afrikanischer Geschichte, aber auch afrikanischer Ikonografie befasst. In ihrem letzten Comic „Rude Girl“ hat sie das Thema „kulturelle Aneignung“ thematisiert – nicht zuletzt, weil der Vorwurf an sie herangetragen wurde, sie würde als weiße Künstlerin mit ihren Comics einen afrikanischen Fokus einnehmen bzw. sich eine afrikanische Kultur „aneignen”.

Dieser Vorwurf beinhaltet so ziemlich alles, was beim gegenwärtigen Diskurs falsch läuft. Abgesehen davon, dass Birgit Weyhe hervorragende, sehr empathische Graphic Novels macht, hat sie ihre Kindheit und Jugend in Uganda und Kenia verbracht. Das heißt, die afrikanische Kultur ist Teil ihrer eigenen Sozialisation. Warum sollte sie darüber nicht erzählen dürfen?! Nur, weil sie nicht schwarz ist? Außerdem handeln ihre Comics stets vom Brückenschlag zwischen den Kulturen, etwa, wenn sie in „Madgermanes“ von Gastarbeitern aus Mosambik in der DDR berichtet. Und ganz nebenbei: Wollte man es engstirnig mit der „kulturellen Aneignung“ nehmen, müssten wir unsere Sektion mit afrikanischen Zeichnerinnen und Zeichnern sofort dichtmachen. Das Medium Comic ist kein originär afrikanisches, sondern hat europäische und amerikanische Wurzeln: Die eine Hälfte der Kreativen aus Afrika macht sich die Prinzipien des amerikanischen Underground-Comics zunutze und fabriziert kleine Heftchen im Selbstverlag. Die andere Hälfte adaptiert die Prinzipien des frankobelgischen Marktes: Albenformate am besten Hardcover und in Farbe. Stilistisch stehen übrigens nach wie vor Hergés „Ligne claire“ hoch im Kurs (also: klare Konturlinien) oder der Aquarell-Realismus eines Hermann Huppen aus Brüssel.

Warum wird das so nicht gesehen?

Weil der Diskurs, der geführt wird, ein ahistorischer, geschichtsvergessener ist. Es wird im Hier und Heute ein antirassistischer Idealzustand definiert, der dann nach hinten in die Geschichte projiziert wird. Und alles was dieser Vorstellung nicht entspricht, ist böse und gehört inquisitorisch ausgemerzt: Es darf nicht sein, was nicht sein soll. Das Problem dabei ist, dass dieser falsch verstandene Antirassismus schwarze Identitätsgeschichte auslöscht. Das ist dann eine ganz besonders perfide Form von Chauvinismus und Paternalismus, wenn man vergangenen Generationen nachträglich vorschreibt, was ihnen zuträglich gewesen wäre und was nicht – als wären Schwarze vor hundert Jahren zu dumm gewesen, Rassismus zu bemerken. Hier wird übersehen, dass es im frühen 20. Jahrhundert eine schwarze Presse gegeben hat: Zeitungen von schwarzen Verlegern für schwarze Leser. Die haben sehr genau auf ihre zeitgenössische Kulturproduktion geschaut und diese – zum Teil auch kontrovers – kommentiert. Da braucht es keine kritischen Beobachter des Jahres 2024, das haben die damals schon ganz gut selber hingekriegt. Wenn man allerdings so denkt, dann stellt es natürlich ein erhebliches Problem dar, wenn man etwa zur Kenntnis nehmen muss, dass „The Jazz Singer“ mit Hollywood-Star Al Jolson 1927 der erfolgreichste Film des Jahres in schwarzen Kinos war – und das nicht trotz, sondern gerade wegen diverser Songs, die Jolson darin in Black-Face-Schminke aufführt. Dazu gibt es ein ganzes Kapitel im begleitenden Buch.

Historisch wird man in der westlichen Comic-Geschichte immer wieder mit rassistischen Defiziten konfrontiert sein, aber gibt es auch etwas, das nach vorne weist, etwas, bei dem alles richtig gemacht wurde?

Na klar, so etwas gibt es auch und das macht Hoffnung. Lass mich nur die Figur der Michonne aus Robert Kirkmans und Charlie Adlards Opus-Magnum „The Walking Dead“ erwähnen: eine super toughe schwarze Frau, bei der man nie das Gefühl hat, dass sie zum Zweck der Quote erdacht wurde. Ganz im Gegenteil: sehr differenziert und mit hohem Identifikationspotenzial. Der Autor ist ein Weißer. Dann gibt es diesen großartigen „The Shadow“-Run von Kyle Baker. Damals auf Augenhöhe mit Frank Millers „The Dark Knight“ oder Alan Moores „Watchmen“. Ganz große Comic-Kunst von einem Afroamerikaner, ohne dass allerdings afroamerikanische Figuren eine wesentliche Rolle spielen würden. Oder nehmen wir „Aya“: eine wunderbare afrikanische Mehr-Familien-Soap-Opera mit hohem Unterhaltungswert. Getextet von einer schwarzen Frau, die aus der Republik Elfenbeinküste stammt, gezeichnet von einem weißen Franzosen. Das ist die Normalität, die wir uns wünschen: Weiße, die glaubwürdig schwarze Charaktere erfinden; Schwarze, die großartige Geschichten erzählen, auch jenseits spezifischer Identitätsfragen, und spannende Erzählungen, die uns ganz nebenbei Innenansichten anderer Kulturkreise näherbringen, ohne oberlehrerhafte Attitüde.

Zum Schluss eine Frage, die bestimmt früher oder später kommen wird: Denkst du, dass es ein Problem darstellt, dass du ein weißer Kurator bist?

Nein, denke ich nicht. Aus mehreren Gründen: Zunächst würde man ja einen afroamerikanischen Kunsthistoriker auch nicht beargwöhnen, wenn er über die Renaissance, die deutsche Romantik oder den Expressionismus forscht. Entscheidend scheint mir hier die wissenschaftliche Expertise zu sein und nicht die Hautfarbe. Allerdings: Es hätte einen Unterschied gemacht, wenn es eine Ausstellung allein über die afrikanische Comic-Szene geworden wäre. Da würde ich mich tatsächlich für ungenügend kompetent erachten und hätte gesagt, das sollte jemand machen, der da vertiefte Innenansichten besitzt und unter Umständen auch afrikanischer Sprachen mächtig ist. Einem generalistischen Ansatz aus der Perspektive der Comic-Geschichte fühle ich mich gewachsen. Ich habe zudem im Vorfeld versucht, so ziemlich alles zu sichten, was zu dem Thema in Deutschland bislang geforscht oder publiziert wurde – was leider nicht viel ist. Die US-Kollegen und -Kolleginnen sind da deutlich weiter, schauen aber leider nur sehr eng auf ihre eigene Kulturgeschichte. In Deutschland bemerkt man ein starkes Bemühen, sich diesbezüglich thematisch einzubringen, aber häufig fehlt die Substanz: das Wissen um die Geschichte des Mediums, verschiedene Epochen, Strukturen und Produktionsbedingungen und den jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext. Da kommt es mitunter zu haarsträubenden Fehlinterpretationen oder zumindest Unsicherheiten. Unter diesem Aspekt verstehen sich unsere Ausstellung und das begleitende Buch als ein Angebot. Sie legen in kursorischer Weise ein Fundament für viele denkbare sich anschließende Forschungen oder Ansätze: diese dann gerne auch von schwarzen Forschenden und gerne auch im Widerspruch zu dem, was ich hier versucht habe darzustellen. Das ist das Wesen der Wissenschaft.

Alexander Braun: Black Comics. Vom Kolonialismus zum Black Panther • Panini, Stuttgart 2025 • 304 Seiten • Hardcover • 49,00 Euro • erscheint im Februar 2025

Abb ganz oben: Chuck Browns, David F. Walkers und Sanford Greenes „Bitter Root“ (Splitter Verlag)