Acht Horrorcomic-Empfehlungen zu Halloween

Man kann sich an Halloween sämtliche Teile der gleichnamigen Slasherfilm-Serie anschauen – oder auf Entdeckungsreise gehen! Wir haben Ihnen zum Kürbisfest eine breite Auswahl an Horrorcomic-Neuheiten zusammengestellt.

hs44Hammerharte Horrorschocker #44

Der schnelle Horrorcomicsnack wurde bis zum ausklingenden Millenium zumeist in Heftform dargereicht. Am Kiosk, eher bieder und überraschungsarm, warteten wöchentlich die „Gespenstergeschichten“ des Bastei Verlags, hinter den Ladentheken der Comicshops, verstaut in der 18er-Kiste, lauerten die weitaus hemmungsloseren Schlachtplatten des „Menschenblut“-Magazins. Beide sind längst Geschichte. Heute verwaltet ihr Erbe der rührige Comiczeichner, Verleger und Weissblech-Comics-Gründer Levin Kurio, vor allem in Gestalt der mittlerweile 44 Ausgaben fassenden, dreimonatlich erscheinenden „Hammerharten Horrorschocker“. Kurio betreibt sein Labour of Love mit der gütigen Hand des Connaisseurs. Soll heißen: Für stimmungsvolle Gothic-Erzählungen und grellem Trash mit Ansage findet sich ohne jedwede Ranküne gleichermaßen Platz. Genau darin besteht der Reiz der Reihe. Das aktuelle Heft demonstriert dies in Reinform: Drei Kurzgeschichten, drei unterschiedliche Ansätze. Klassisch: In der ersten Story sucht ein Mann das Haus seiner verstorbenen Großeltern auf und wird mit einem Trauma aus Kindheitstagen konfrontiert. Sehr zynisch und dem EC-Comic-Geist verschrieben, setzt die zweite Geschichte die Tochter des Teufels dem großstädtischen Nachtleben zum Fraß vor. Einen derben Abschied setzt es schließlich mit „Ein Männlein steht im Walde…“, worin eine Pornofilm-Crew von Blob-Killerpilzen blutig bei der Arbeit gestört wird.
Unnötig zu betonen, dass man die Zukunft dieser Liebhaberei am besten mit einem Abo sichert.

Levin Kurio (Hg.): Hammerharte Horrorschocker #44. Weissblech Comics, Schönwalde 2016. 36 Seiten. 3,90 Euro

 

nekrowarrenNekromantik #1

Deutsche Splatterfilme an der Schwelle zu den 90er Jahren: es gab Andreas Schnaas, Olaf Ittenbach, Andreas Bethmann und Konsorten. Ihre Werke waren ungelenke Studien der Rezeption ihrer hierzulande verfemten meist italienischen Vorbilder: ein Fragment von Handlung lieferte den Anlass zum Splattern ohne Anspruch, Erzähl- oder Schauspielbefähigung hatten hinter dem Effektfetisch auf ihre Einschulung zu warten. Und dann gab es noch Jörg Buttgereit, den Pionier der Berliner Supper-8-Szene. 29 Jahre ist es nun her, als sein Erstlingslangfilm „Nekromantik“ das Licht der Welt erblickte. Eine irritierende und sehr raue Melange aus Exploitation und Poesie, in der der junge Robert und seine Freundin Betty ihre Liebe zu Leichen erkunden. Zumindest so lang Robert durch seine Mitarbeit in der Firma Joes Säuberungsaktion für Nachschub sorgen kann. Denn mit seiner Entlassung verliert er auch Betty und ergreift verzweifelt die letzte Möglichkeit, ihre Nähe zu gewinnen: Im düsteren Finale aus Blut und Sperma ersticht er sich selbst, um ihr fortwährend als Toter ein guter Liebhaber zu sein.

Der Rest ist Legende: Der Gore-Bauer war verschreckt, ein etwas progressiver gesinntes Publikum verhalf dem Film zum Kultstatus. Veröffentlichungen in Japan und den USA folgten, in Deutschland hingegen drohte das Banner der Zensur. Indizierung, gar zeitweise Beschlagnahmung der Fortsetzung 1993, bis der richterliche Freispruch die künstlerischen Ambitionen anerkannte und das kleine Jelinski & Buttgereit Label gerade noch vor dem Konkurs rettete.

Zum 25. Jubiläum des 2. „Nekromantik“-Films spendiert Weissblech Comics der Saga eine weitere Fortsetzung in Comicform. Buttgereit und Zeichner Martin Trafford setzen mit dem Plot 20 Jahre nach „Nekromantik 2“ ein, und sie schaffen es dank einiger Finten das gesamte Personal der Filme wieder zu vereinen. Wie, das mag man bitte selber lesen, denn selbstverständlich ist diese Veröffentlichung vor allem eine große Nostalgiereise voller Anspielungen auf die Vorgänger und die ihnen zugrunde liegenden Inspirationen aus der Serienkiller-Historie, mit Ed Gein an der Spitze. Die schwarzweißen Zeichnungen wirken schmutzig, als seien sie im expressionistischen Fieberwahn mit Katerstimmung entstanden – ein treffendes Pendant zum groben Super-8-Filmkorn. Ein Vorwort Buttgereits sowie ein Interview mit Martin Trafford über die Entwicklung des Projekts sind die letzte Würze für ein editorisches Happening.

Jörg Buttgereit, Martin Trafford: Nekromantik #1. Weissblech Comics, Schönwalde 2016. 52 Seiten. 7,80 Euro

 

309147-20151221154654Alice Matheson Bd 1 + 2

Alice Matheson“ mixt das allgegenwärtige Zombie-Thema mit Serienkiller-Motiven. Denn die titelgebende, hyperintelligente Krankenschwester hilft beim Tod ihrer Patienten gerne ein wenig nach, stets aber unter den Prämissen eines Ethos, ermordet sie doch ausschließlich Menschen, denen ein baldiges Ableben attestiert wurde. Die global sich anbahnende Untoten-Epidemie findet denn auch hauptsächlich in Gesprächen und auf TV-Bildschirmen statt, Hauptschauplatz bleibt das Krankenhaus. Dort häufen sich die unerklärlichen Fälle von Toten, die ins Leben zurückkehren, bieten Matheson zugleich aber auch einen tauglichen Anlass, ihren Aktionsradius unbehelligter denn je zu erweitern.

Man möge sich übrigens vom tiefen Ausschnitt Mathesons, den die Titelbilder präsentieren, nicht aufs Glatteis führen lassen, desavouieren sie doch aufs peinlichste Mathesons eher asexuellen Charakter, der sich aus der lüsternen Schmierlappigkeit der meisten männlichen Figuren speist, ja Matheson sogar mit der Andeutung eines Missbrauchs als junges Mädchen in Band 2 eine tragische Ambivalenz verleiht.
Insgesamt sollen sechs Alben erscheinen, für den schnellen Veröffentlichungsrhythmus garantiert ein wechselndes Zeichnerteam. Der Vergleich der ersten beiden Bände zeigt, dass ein homogener Stil angepeilt wird.

Jean-Luc Istin, Philippe Vandaele, Zivorad Radivojevic: Alice Matheson Bd. 1 + 2. Splitter, Bielefeld 2016. 48/56 Seiten. Je 14,80 Euro

 

309568-2016060310040810 Jahre Splitter: Zombies. Der erste Zyklus

Zum zehnjährigen Verlagsjubiläum in diesem Jahr veröffentlicht Splitter zehn auf 1111 Exemplare limitierte Sonderausgaben. Die „Zombies“-Serie von Olivier Peru und Sophia Cholet repräsentiert dabei sozusagen die Horror-Vertreter des Programms. Peru und Cholet erfinden das Rad nicht neu, setzen jedoch die Maßgaben der Zombie-Erzählungen nahezu perfekt um. Vor allem die opulente Grafik versetzt regelmäßig in Staunen, wenn gigantische Horden, Millionen von Zombiegestalten ganze Landstriche in ein Meer aus Verwesung verwandeln. Die Story hängt sich, sieben Monate nach Ausbruch der Seuche, an die Fersen des ehemaligen Pizzalieferanten Sam, der die amerikanischen Großstädte durchstreift, um seine kleine Tochter zu finden und dabei auf eine rund 500-köpfige Gruppe Überlebender trifft, deren Organisationsgrad tatsächlich Hoffnung auf einen Neuanfang verspricht, zumal sich einige Figuren gegenüber dem Virus als immun erweisen.

Die Gesamtausgabe enthält, neben den drei Alben des ersten Zyklus (exklusive des einbändigen Prequels von Lucio Alberto Leoni), einen 26-seitigen Skizzenanhang, in dem Cholet seine grafischen Entscheidungen kommentiert.

Olivier Peru, Sophian Cholet, Simon Champelovier: Zombies. Der erste Zyklus. Splitter, Bielefeld 2016. 176 Seiten. 44,80 Euro

 

309143-20160219081000Outcast Bd. 1-3

Bei Robert Kirkmans Welterfolg „The Walking Dead“ ist die Orientierung am sozialkritischen Strang des Genres manifest, überträgt die Serie doch viele Elemente von George A. Romeros Zombiefilmklassikern in die Szenarien, denen die Überlebenden um Rick Grimes ausgesetzt werden. Auch „Outcast“, Kirkmans „Dead“-Nachfolger, bleibt dieser Tradition treu. Die Hauptfigur Kyle Barnes ist ein Exorzist wider Willen. Er kann Dämonen austreiben, hat dafür jedoch den Preis der Isolation und sozialen Ächtung zu zahlen. Da ihm natürlich niemand außer den betroffenen Angehörigen glaubt und sich die mitunter blutigen Folgen der Austreibungen den restlichen Mitmenschen folglich als schlichte Körperverletzung offenbaren, gilt er als Außenseiter in seiner kleinen Heimatstadt in West Virginia. Die von Zeichner Paul Azaceta perfekt arrangierten Bilder der Landschaften sind kleine Studien der Melancholie. Hier herrschen weder Hoffnung noch Prosperität, Armut ist omnipräsent, den Gesichtern der Bewohner eine eher verzweifelte Gelassenheit eingeschrieben. Ganz beiläufig entwickelt sich „Outcast“ hinter dem Dämonen-Horror zur Allegorie einer Gesellschaft im ökonomischen wie sozialen Niedergang.
Wie zuvor schon „The Walking Dead“ hat es auch Robert Kirkmans Comicnachfolger zur TV-Serie gebracht.

Robert Kirkman, Paul Azaceta: Outcast Bd. 1-3. Cross Cult, Ludwigsburg 2015/2016. Je 160 Seiten. Je 22 Euro

 

309440-20160509143235Totem

Die schlimmste Zeit des Lebens ist die Pubertät, die zweitschlimmste Zeit ist die danach, hat Helge Schneider einmal gesagt. Nicolas Wouters’ und Mikael Ross’ Graphic Novel „Totem“ bekräftigt sein Urteil. Was darin Hauptfigur Louis, ein zwölfjähriger Junge, in einem Pfadfindercamp in den tiefen Wäldern der Ardennen erlebt, ist die diesseitige Hölle. Erniedrigung, Drangsal, sinnlose Aufgaben, mieses Essen und sadistische Gruppenführer bestimmen den Alltag. Statt diese Tortur ertragen zu müssen, wäre Louis lieber bei seinem schwerkranken kleinen Bruder im Krankenhaus. Zu allem Überfluss scheint in den Wäldern ein wildes Tier auf die Kinder zu lauern. Als Louis bei einem Ritual feierlich eine Fuchsmaske überreicht wird, gerät schließlich auch seine Identität auf unheimliche Weise aus den Fugen.

„Totem“ ist gewiss keine genuine- Horror, mindestens aber eine einnehmend unheimliche Coming-of-Age-Geschichte. Die pubertäre Demonstration von Härte, das aggressive Erwachen der Sexualität, das Ohnmachtsgefühl angesichts ungerecht agierender Autoritäten, die Verschiebung aller identitären Sicherheiten, wenn diese ohnehin schon schwierige Phase der Ich-Findung auf die härteste Bürde der Realität, den Tod, trifft, für all dies finden Wouters und Ross gespenstische Metaphern und entrückt-schöne Bilder.

Nicolas Wouters, Mikael Ross: Totem. Avant Verlag, Berlin 2016. 128 Seiten. 29,95 Euro

 

309167-20151221160226In the Pines. 5 Murder Ballads

Schon Erik Krieks 2013 veröffentlichte Kurzgeschichtenanthologie „Vom Jenseits und andere Erzählungen“, schauerliche Kabinettstücke nach den Werken H.P. Lovecrafts, war ein kleiner Achtungserfolg. In seinem Folgewerk „In the Pines“ präsentiert der niederländische Künstler ebenfalls fünf Kurzgeschichten, diesmal auf Grundlage der Murder Ballads, amerikanische Folksongs, die von einem Mord erzählen und meist in einer moralischen Auflösung gipfeln. Die Stücke sind auf einer CD dem Band beigefügt, gecovert von Krieks eigener Band Bluegrass Boogiemen.
Abermals erweist sich Kriek als legitimer EC-Comic-Epigone. Er räumt dem Mienenspiel der schreckverzerrten Gesichter viel Platz ein und lässt die oft gruseligen, manchmal auch tragischen Short Stories mit einem großen Knall enden; den eindrucksvollen schwarzweißen Holzschnitt-Stil aus „Vom Jenseits“ variiert er hier in jeder Geschichte mit einem zusätzlichen dunklen Farbton. Ergebnis: Lupenreine Zeichenartistik von einem der gegenwärtig interessantesten Horrorcomicerzähler.

Erik Kriek: In the Pines. 5 Murder Ballads. Avant Verlag, Berlin 2016. 136 Seiten inkl. CD. 24,95 Euro

 

providence2_softcover_532Providence Bd. 1 + 2

Alan Moore ist der Comicverwalter des popkulturellen Steinbruchs. Seine Überwerke „Watchmen“ und „From Hell“ bürsten ihre Sujets mit kulturkritischem Appeal gegen den Strich: In „Watchmen“ wird die faschistoide Fantasie hinter der Naivität der Superhelden-Geschichten bloßgestellt, „From Hell“ nutzt den Jack-the-Ripper-Mythos für eine kulturtheoretische Reise zu den Anfängen der Industrialisierung und analysiert mit sachlichem Grimm die mörderische Rationalität der Moderne. Mit ihr haderte seinerzeit auch der einflussreichste Horrorschriftsteller des 20. Jahrhunderts H.P. Lovecraft, privat leider in Gestalt dummer Ressentiments eines verbitterten Reaktionärs. Moores und Lovecrafts Wege kreuzten sich bereits in der „Swamp Thing“-Saga und der Miniserie „Neonomicon“. In „Providence“, angelegt auf drei Bände, gerät das Spiel mit den Referenzen komplexer. Einerseits ganz im Sinne Lovecrafts, der seinen Cthulhu-Mythos stets als offenes System begriff, das auch von anderen Autoren erweitert werden sollte. Zum anderen webt Moore subtil ein riesiges Netz aus Werksanspielungen, biografischen Passagen und Komponenten der Rezeptionsgeschichte Lovecrafts. Der homosexuelle Journalist Robert Black, eigentlich auf der Suche nach einem guten Stoff für sein neues Buch, erhält durch seine Recherchen im Jahre 1919 an den Schauplätzen des Lovecraft-Universums ein Ticket in die Abgründe des kosmischen Grauens. Der streng komponierte intertextuelle Aufbau der Story und Moores geschliffene Prosa lassen ahnen, dass mit dem Ende dieser Serie ein weiterer Klassiker vom Format eines „From Hell“ ins Haus steht.

Alan Moore, Jacen Burrows: Providence Bd. 1 + 2. Panini Verlag, Stuttgart 2016. 176/180 Seiten. Je 19,99 Euro