Gegen homophobe Vorurteile – „Der Mann meines Bruders“

Der alleinerziehende Yaichi und seine Tochter Kana bekommen plötzlich Besuch von Mike aus Kanada. Mike war der Ehemann von Yaichis Zwillingsbruder Ryochi. Weil Ryochi gestorben ist, möchte sich Mike auf die Spuren seines Mannes begeben. Dumm nur, dass Yaichi seiner Tochter nie von seinem schwulen Bruder erzählt hat.

„Invasion des Fremden“ heißt der erste Band dieser Mangaserie und mit diesem Besuch krachen tatsächlich zwei Kulturen aufeinander. Das sieht man schon: Mike ist ein großer, kräftiger und über und über behaarter Typ mit Vollbart, der an einen kanadischen Holzfäller erinnert, aber dafür eigentlich viel zu bunte Hemden trägt. Yaichi dagegen ist ein typischer Japaner mit dunklem Kurzhaarschnitt, adretter beiger Bügelfaltenhose und das Legerste an ihm sind die Sweatshirts, die er meistens trägt.

Vorbehalte gegen den schwulen Bruder

Für Yaichi sind Schwule fremd, sein Bruder ist nach dem Coming Out ausgewandert und er kann nicht gut damit umgehen, dass nun der schwule Mann seines Bruders vor der Tür steht. Und er hat seiner Tochter gar nichts davon erzählt. Yaichi denkt, das ist so gelaufen, weil er und sein Bruder sich auseinandergelebt haben. Und er denkt, dass er Mike nicht zu sich ins Haus einlädt, weil der Kanadier und fremd ist.

Gengoroh Tagame (Autor und Zeichner): „Der Mann meines Bruders Band 1+2“.
Aus dem Japanischen von Sakura Ilgert. Carlen Verlag, Hamburg 2019. Je 180 Seiten. Je 10 Euro

Schnell wird klar, dass Yaichi vor allem Schwule fremd sind und dass er sich damit nicht so richtig auseinandersetzen mag. Doch seine Tochter Kana ist begeistert, dass sie einen kanadischen Onkel hat und lädt ihn ein zu bleiben – weil es in Japan normal ist, dass man im Haus von Verwandten übernachtet. Und dann fragt Kana auch noch unverfroren, wer in Mikes Ehe denn die Ehefrau war. Genau solche Fragen führen immer wieder zu herzerfrischend komischen Szenen.

Es ist nicht leicht, nicht der Mehrheitsmeinung zu folgen

In Deutschland ist Homosexualität – anders als in Japan – zum Glück kein Tabu mehr. Doch es gibt immer noch Vorbehalte. In diesem Manga dürfen die formuliert werden. Und: Gengoroh Tagame arbeitet deutlich heraus, wie die eigene Haltung die Wahrnehmung beeinflusst – und was in einem Menschen passiert, der nicht der Mehrheitsmeinung folgt. Wie das verunsichert und wie man manchmal auch einknickt.

Yaichi zum Beispiel antwortet auf die Frage eines Nachbarn, wer denn Mike sei: „Das ist ein Freund meines Bruders“ – also mit der Verleugnung seines Schwagers. Und das, obwohl er da schon einige Vorbehalte über Bord geworfen hat und anfängt, Mike zu mögen.

Darüber hinaus geht es in dem Manga auch um die Verarbeitung von Trauer und um Erinnerungen. Yaichi erinnert sich zum Beispiel wieder an Details aus der Kindheit mit seinem Bruder, weil Mike all die Orte aufsuchen will, von denen ihm Ryochi erzählt hat – den alten Ginkobaum auf dem Schulhof zum Beispiel. Solche Erinnerungen an den Bruder sind berührende Momente.

Ein Buch für die ganze Familie

Die Geschichte hat genug Tiefe, um sie als Erwachsener zu mögen – und zugleich diesen herrlich unverstellten Kinderblick von Kana, der immer wieder Tempo und Witz in die Geschichte bringt. Und nebenbei kann man typische Mangaelemente kennenlernen. Zum Beispiel gibt es zwei Ebenen in der Geschichte: was gerade passiert und was einer der Protagonisten dazu denkt. Das gibt es oft im Manga – hier sorgt es für eine besondere Dynamik, weil die Spannung vor allem durch diesen inneren Konflikt von Yaichi erzeugt wird, der eigentlich seinen Bruder liebt – aber mit dessen Homosexualität nicht klarkommt.

Der Mangaka Gengoroh Tagame wird als so etwas wie der japanische Ralf König gehandelt, weil Tagame wie König Comics für die Schwulenszene zeichnet – aber auch ein breites Publikum für schwule Themen begeistern kann.

„Der Mann meines Bruders“ wurde kürzlich von der Comic-KritikerInnen-Jury als bester Comic des 1. Quartals 2019 ausgezeichnet.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 19.03.2019 auf: kulturradio rbb

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.