„Ich bin gern Teil der Hybridszene“

Vor wenigen Wochen erschien bei Cross Cult der Auftakt von Cristin Wendts fünfbändiger SciFi-Serie „Message“, eine mit Manga-Einflüssen operierende Cyberpunk-Erzählung, die sich aktueller Themen wie KI und Klimawandel annimmt. Wir präsentieren das von Filip Kolek geführte Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Cross Cult Verlags.

Liebe Cristin, danke dass du dir die Zeit nimmst, um mit uns über dein Debüt „Message Buch 1: Loading“ zu sprechen. Mit dem Band wirst du für viele Leserinnen und Leser zum ersten Mal in Erscheinung treten, aber du bist schon länger in der Comicszene aktiv. Kannst du uns etwas über dich und deinen Comic-Background verraten? Wie bist du zum Comiczeichnen gekommen?
Gezeichnet hab ich als Kind schon immer gerne, ich bin zwar mit dem Micky-Maus-Magazin und dem „Lustigen Taschenbuch“ aufgewachsen, aber erst mit der Erstausstrahlung von „Sailor Moon“ 1995 fing ich an, eigene Geschichten zu entwerfen und diese im Mangastil zu zeichnen. Doch gelesen hab ich beides gerne, besonders die vielen Möglichkeiten, bei einem Comic bestimmte Elemente mit Licht und Farben in Szene zu setzen, haben mich fasziniert. Erst Jahre später, besonders mit „Message“, wechselte ich langsam zum westlichen Zeichenstil.

Wie lange arbeitest du schon an „Message“, wie lange begleitet dich die Story schon?
„Message“ begleitet mich schon seit vielen Jahren, aber ich zeichne daran schon circa vier Jahre. Der Prozess war von vielen Neuanfängen und zwischenzeitlichen Pausen begleitet. Der Anstoß für „Message“ war ein Speedpaint, bei dem ich mich erstmals an Cyberpunk herangewagt hatte. Das Feedback zu diesem Bild war überraschend groß, und da ich schon immer geplant hatte, eine kurze Geschichte zu entwerfen, nahm ich dieses Bild als Grundlage. Diese Illu war also praktisch das Fundament, auf dem ich nach und nach die Geschichte aufgebaut habe. Einige Details für den Plot von „Message“ ergaben sich quasi organisch aus der Illustration selbst. Zum Beispiel brachte mich der weiße Hintergrund auf die Idee, den Comic in einer Eiswelt spielen zu lassen. Und weil die Figur in meiner Zeichnung eine Maske trug, dachte ich mir einen passenden Grund dafür aus: toxische Luft, aufgrund von Unweltverschmutzung und Klimawandel.

Cristin Wendt (Autorin und Zeichnerin), Ronja Büscher (Autorin): „Message, Band 1: Loading“.
Cross Cult, Ludwigsburg 2019. 80 Seiten. 20 Euro

Selbst der Name Avarus ist auf diese Speedpaint-Zeichnung zurückzuführen. Ich hatte zwischendurch das Gesicht als Avatarbild für einen Messenger (ICQ) verwendet und nannte die Datei „Ava.jpg“. Später habe ich das Bild für einen anderen Zweck kopiert und bei der neuen Datei aus einer Laune heraus noch die Endung „rus“ angesetzt. Und so entstand der Name „Avarus“. Dass dieser Name aber tatsächlich eine Bedeutung hatte, hab ich erst später erfahren…

Man mag es kaum glauben, wenn man dein Artwork sieht, aber Zeichnen ist nicht dein Brotjob, oder?
Nein, ich arbeite hauptberuflich als Schreinerin in einem Allgäuer Betrieb, der für nahmenhafte deutsche Caravanhersteller die Möbelfronten produziert. Meine Arbeit ist nicht mehr vergleichbar mit dem klassischen Schreinerhandwerk, sondern dreht sich mehr um die industrielle Herstellung, die überwiegend über Maschinen erfolgt. Es ist nicht einfach, neben meinem Vollzeitjob noch an meinem Comicprojekt zu arbeiten, aber ich teile mir die Arbeit so auf, dass ich mir in den Pausen meinen Stift schnappen und ein wenig an den Seiten arbeiten kann. Zusätzlich, wenn es die Zeit erlaubt, setze ich mich morgens oder abends vor oder nach der Arbeit an mein Grafiktablett. Zwar könnte ich mir überlegen, auch hauptberuflich als Illustratorin zu arbeiten, aber die Arbeit an den Maschinen dient für mich als Ausgleich, den ich zum Zeichnen einfach brauche.

„Message“ ist nicht direkt für Cross Cult entstanden, sondern zuerst im Selbstverlag veröffentlicht worden, richtig?
Seitdem ich selbst zeichne und immer wieder versuchte, eigene Manga oder Comics zu entwickeln, habe ich davon geträumt, mal bei einem Verlag etwas zu veröffentlichen. Aber je älter man wird, desto realistischer sieht man seine Chancen. Besonders seitdem ich Vollzeit als Schreinerin arbeite, war die Vorstellung, noch zusätzlich für ein Verlag zu arbeiten undenkbar. Nachdem ich anfing, an „Message“ zu arbeiten, hatte ich dann doch mal Mut gefasst, mein Werk einer Redakteurin zu zeigen. Das Feedback war niederschmetternd. Die Redakteurin sah ein großes Problem darin, dass mein Stil weder richtig Manga noch ein klassischer Comic war. Aus dieser Erfahrung heraus beschloss ich, „Message“ eben selbst zu verlegen, da die Szene selbst doch etwas offener für etwas Neues ist. Und als der erste Band im Eigenverlag erschien, war die Reaktion meiner LeserInnen überwältigend.

Seite aus „Message“

Aber als Selbstverlegerin muss man viel mehr Zeit investieren, um potenzielle Leser zu erreichen. Das, was ein Verlag am Ende übernimmt, muss man alles selber bewältigen: Werbung, Druckkosten tragen oder den Verkauf der Bücher. Das alles auf die Dauer zu schultern, war dann doch zu viel und ich nahm mir ein Herz, einen zweiten Anlauf bei einem Verlag zu probieren. Die Wahl fiel diesmal auf Cross Cult, von dem ich selbst einige Bücher besaß und dessen Autoren ich zum Teil (z. B. Felix Mertikat) selbt kannte. Zudem hat das Verlagshaus seinen Hauptsitz in der Nähe meiner Wahlheimatstadt Neu-Ulm. Aber dass es auf Anhieb klappte und mein Stil zwischen Manga und Comic, der mir einst noch angekreidet wurde, hier als Pluspunkt gesehen wurde, damit hätte ich eingangs auch nicht gerechnet. Mich letztendlich doch bei einem Verlag zu bewerben, war meine beste Entscheidung, denn so kann ich mich auf meinen Job und natürlich voll und ganz auf „Message“ konzentrieren.

Du hast es ja gerade erwähnt: In den letzten Jahren sind viele Comics von Zeichnerinnen erschienen, die in ihren Werken Manga-Ästhetik mit klassischem Comicstil verbinden, wie Katja Klengel in „Girlsplaining“ oder Olivia Vieweg in „Endzeit“. Siehst du dich auch als Teil dieser Szene? Wie wichtig waren Manga und Anime für deine künstlerische Entwicklung?
Absolut, man merkt es auch bei mir, dass meine Erzählweise doch etwas von dem klassischen Comiclook abweicht. Der Einfluss des japanischen Zeichenstils, den ich mir damals angeeignet habe, ist nach wie vor präsent. Obwohl meine Comicsozialisation ganz klassisch mit westlichen Comics begann, „Nick Knatterton“ „Asterix“ oder „Die Götter aus dem All“, bin ich erst mit Manga und Animeserien auf die Idee gekommen, meine eigenen Geschichten zu zeichnen. Was genau der Grund war und wieso die europäischen Comics das nicht bei mir ausgelöst haben, weiß ich selbst nicht. Aber ich sehe mich gern als Teil der Hybridszene.

Seite aus „Message“

Bei der Umsetzung von „Message“ hattest du Hilfe von Ronja Büscher. Welchen Beitrag hatte Ronja zu der Entstehung des Comics und wie sah die Aufgabenteilung aus?
Ronja stand mir besonders in den letzten drei Jahren mit Rat und Tat zur Seite. Sie hilft mir mit den Szenarios, da es mir nicht immer leicht fällt, Texte und besonders Dialoge zu verfassen. Ronja „übersetzt“ meine Notizen ins Schriftliche und sorgt für einen angenehmen Lesefluss. Zusätzlich unterstützt sie mich auch als inhaltliche Beraterin, bezüglich Paneling und der Lesbarkeit von Szenen.

Die Grundlage für deine Erzählwelt bilden zwei derzeit medial und gesellschaftlich viel diskutierte Themen: Klimawandel und Künstliche Intelligenz. Was interessiert dich an diesen Themenkomplexen?
Diese beiden Themen stecken tatsächlich in „Message“ drin und bilden das Grundsetting für den Comic, aber für mich sind andere Themen fast noch interessanter. Zum Beispiel das umstrittene Thema der Vernetzung und Automatisierung. Ein viel diskutierter Aspekt dabei ist wohl die Automatisierung von Fahrzeugen und die Frage, wer Schuld trägt bei einem Unfall. Das Fahrzeug, der Hersteller oder der Besitzer? Aber auch das Automatisieren ganzer Produktionsstraßen. Zwar lässt sich damit die Effizienz steigern, aber davon abgesehen, dass Arbeitsplätze bedroht sind, stellt sich auch die Frage, wie weit unser technischer Fortschritt noch gehen wird. Denn durch immer günstigere Produktionswege steigt ja auch die Nachfrage nach den Produkten (die sich ja immer mehr Menschen leisten können), aber auch der dadurch resultierende Bedarf an Ressourcen. Es ist ein komplexes und interessantes Thema, das uns und mich noch eine Weile beschäftigen wird.

Seite aus „Message“

Wie nimmst du die politischen und gesellschaftlichen Debatten zum Themas Klimawandel war? Spiegelt das apokalyptische Grundszenario von „Message“ deine Sorge vor der Entwicklung der Menschheit wider, oder bist du da optimistischer, als deine eigenen Comics es vermuten ließen?
Auch wenn es vielleicht nicht so wirkt, bin doch sehr optimistisch, dass irgendwann mal die Zeit kommt, in der wir all die Probleme anpacken werden. Die neue junge Generation kommt viel früher mit der Klimaproblematik in Berührung, als es bei uns noch der Fall war. Auch in Schwellenländern ist die Jugend sehr aktiv. Es wird zwar seine Zeit brauchen, aber ich glaube, dass uns irgendwann gelingen wird, dieses Problem einzudämmen.

Welche Comics, Romane, Filme haben dich zu „Message“ inspiriert? Rein optisch fühle ich mich an Animes wie „Ghost in the Shell“ oder „Appleseed“ erinnert, es steckt sicherlich auch ein bisschen „Matrix“ in der „Message“-Matrix, oder?
Wenn ich zeitlich dazu komme, schaue ich mir die „Matrix“-Filme immer noch gerne an. Noch lieber schalte ich aber bei Dokus mit Harald Lesch über Astronomie ein oder schaue mir alte „Star Trek“-Folgen an, die nie langweilig werden. Als „Matrix“ damals in den Kinos kam, war ich noch zu jung, um wirklich zu verstehen, um was es ging, erst viel später fiel der Groschen. Für dieses Projekt gab es keine direkten Vorbilder. Geschichten mit Tiefe und Plot-Twists haben mich aber schon immer inspiriert – ob aus dem Game-Bereich (z. B. „Mass Effect“) oder Romane wie die „Harry Potter“-Bücher von J. K. Rowling. Aber auch die abendlichen Diskussionen mit meinem Freund über Politik und Technik hatten einen Einfluss auf „Message“.

Seite aus „Message“

Als SciFi-Szenario bietet „Message“ eine Fülle an futuristischen Technologie-Designs und Konzepten (seien es Gebäude, Waffen, Roboter, Tablets, aber auch die holographische Bedienungsoberfläche von Computern). Wie gehst du vor, wenn du Technologie designst, die es nicht gibt?
Ich glaube vieles, was ich für die Comicreihe designe, ergibt nicht wirklich einen Sinn. Ich denke zum Beispiel, dass diese Holofelder, die doch sehr häufig im Comic auftauchen in der Form nicht möglich sein werden. Zwar gibt es schon Techniken mit Partikeln oder Dampf, die solche Hologramme ermöglichen, aber ich denke, dass weiterentwickelte Virtual-Reality-Brillen das Rennen machen werden. Manche Designs entwickle ich aus dem Wissen, das ich mir mit der Zeit angeeignet habe, nur selten mache ich mir Gedanken darüber, ob diese technisch wirklich umsetzbar wären oder nicht.

„Message“ ist auf fünf Bände angelegt. Wie gehst du als Autorin mit so viel Vorlauf und Planung um? Hast du einen groben Fahrplan und gehst dann jeden Band für sich an? Oder gibt es genaue Szenarios für alle vier kommenden Bände? Bist du allgemein jemand, der viel vorskizziert und plant, oder eher jemand, der sich morgens (oder in deinem Fall abends nach Feierabend) mit dem Stift an den Tisch setzt und einfach loslegt und guckt, was passiert?
Der grobe Plot, also der essenzielle Teil der Geschichte, steht schon lange im Vorfeld fest. Zumal dieser sehr komplex angelegt ist und wichtige Details für spätere Entwicklungen schon früh gestreut werden. Für mich selbst hatte ich mir nur ein paar Notizen und Skizzen gemacht, für den Verlag wurde der Plot aber noch mal schriftlich festgehalten, damit sie auch in etwa wissen, was im jeweiligen Band passieren wird.

Bevor ich anfange, die einzelnen Szenen zu zeichnen, erstelle ich schriftlich einen groben Ablauf vom Band, zusätzlich noch einen groben Dialogpfad, der mit dabei hilft, die Szenen und Emotionen besser einzuschätzen. Ich habe gemerkt, dass sich die Szenen leichter zeichnen lassen, wenn der Dialog schon feststeht. Nachdem Ronja den gesamten Text und die Dialoge korrigiert hat, geht es damit zum Verlag. Aber egal wie viel man plant, manchmal kommt alles doch ganz anders. Bei Band 2, der 2020 erscheinen wird, habe ich wieder einiges verändert. An dem groben Faden habe ich zwar gehalten, aber beim ganzen Drumherum haben ich komplette Seiten oder Szenen verworfen und neu angelegt. Im Vergleich zum ersten Band gehe ich an Band 2 viel strukturierter heran. Aus den Fehlern, die ich mit Band 1 gemacht hatte, habe ich einiges gelernt. Da nun auch eine gewisse Pflicht dem Verlag und meinen LeserInnen gegenüber besteht, pünktlich zu liefern, will ich keine Zeit mit ständigem Überarbeiten verlieren. Das heißt also, nun (auch für die folgenden Bänden) jede einzelne Szene schriftlich festhalten, Dialoge parat haben, den komplette Band vorskizzieren, bevor es ans Outlinen und Kolorieren geht.

Kannst du uns schon ein bisschen anteasen, wohin die Reise in den kommenden „Message“-Bänden gehen wird?
Avarus wird schnell merken, dass er mit seiner „Kopf durch die Wand“-Taktik nicht weit kommen wird. Nach und nach werde ich meinem Protagonisten und den LeserInnen immer mehr Puzzleteilchen des großen Rätsels offenbaren und Avarus wird klar werden, dass er Hilfe brauchen wird, um das Geheimnis hinter seinem verschwundenen Bruder zu lüften. Doch wem wird er trauen können und wem nicht?

Ich habe viele Jahre für die Entwicklung gebraucht, besonders weil es mir wichtig war, eine gewisse emotionale Tiefe in die Geschichte einzubringen. Ich möchte gerne Emotionen wecken, die LeserInnen dazu verleiten, die vorherigen Bände noch mal in die Hand zu nehmen, um etwas nachzulesen. Sich vielleicht sogar über mich ärgern.