„Weißt du, wenn ich Albträume habe, erzähle ich sie Mama und danach geht’s viel besser. Willst du ihn mir erzählen?“ Nach dieser Frage bricht Großmutter Dounia ihr jahrzehntelanges Schweigen und erzählt ihrer kleinen Enkelin Elsa, wovon sie selbst dem eigenen Sohn nichts sagen wollte: ihre Geschichte als jüdisches Mädchen unter der Vichy-Regierung. Spät nachts, vorm Kaminfeuer, auf Omas Schoß offenbart sich Elsa der Lebensbericht als Erzählung von einem Land far, far away.

Loic Dauvillier (Autor) / Marc Lizano (Zeichner): „Das versteckte Kind“.
Aus dem Französischen von Monja Reichert. Panini, Stuttgart 2014. 84 Seiten. 16,99 Euro
Zeichner Marc Lizano übersetzt diese Zurückhaltung ins Visuelle: Seine Funnyfiguren mit ihren viel zu kleinen Körpern und den riesigen Ballonköpfen sehen auch als Wehrmachtssoldaten ausnehmend niedlich aus. Ob dies zu einem Darstellungsproblem führt, bei dem reales Grauen verharmlost wird, oder ob es, im Gegenteil, die Sensibilisierung gegenüber antisemitischem Wahn zusätzlich fördert, wenn harmlos dreinschauende Knuddelmännchen ihre Mitmenschen auf offener Straße blutig prügeln, sollte man am besten im Kreise der angepeilten jungen Leserschaft diskutieren. Dann könnte man sie auch darauf hinweisen, dass auf der Impressums- und Danksagungsseite zusätzlich ein Vorwort des ehemaligen Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, sehr geschickt versteckt wurde.

Loic Dauvillier (Autor) / Glen Chapron (Zeichner): „Das Attentat“.
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Carlsen, Hamburg 2014. 160 Seiten. 18,90 Euro
Die Bombe hallt nach, Amin verfällt physisch und psychisch. Trotz seiner Unschuld von der Polizei, den Nachbarn und Kollegen als Kollaborateur gebrandmarkt, fährt er, am Rande des Zusammenbruchs, nach Bethlehem, um die letzten Tage seiner Frau rekonstruieren, mit denen sprechen zu können, die er für ihre Funktionalisierung verantwortlich macht – ein Imam, der ihr vor ihrer Tat das Paradies versprochen hat, Familienmitglieder, die den Kontakt zu islamistischen Terrororganisationen hergestellt haben.
Im Prinzip erzählt Dauvillier (wie die Romanvorlage Yasmina Khadras) eine Reise ins Herz der Finsternis vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts. „Das Attentat“ ist weder ein agitatorisches Pamphlet noch eine Verständnisschrift für die Initiatoren und Befürworter der Gewalt. Amin gleicht dem hoffnungslosen Noir-Helden, der mit jedem Versuch, Kontrolle über sein Leben, sein Ich und seine Umwelt zurückzuerlangen, nur tiefer in seinem Trauma versinkt, weil es sich kaum vom Trauma der Gesellschaft unterscheidet, in der er sich bewegt. Als Amin zu Beginn die zerfetzte Leiche seiner Frau identifizieren muss, sehen wir nur seine Gedanken auf zwölf schwarzen Panels. Von hier an ist dies die Geschichte eines Hinterbliebenen, der seinen seelischen Tod genauso wenig bemerkt wie wir.
Dieser Text erschien zuerst in: KONKRET 08/2014
Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.

Sequenz aus „Das Attentat“ (Carlsen Verlag)