Der Mainzer Ventil Verlag ist die Adresse für Pop- und Subkultur in Buchform, seien es Sachbücher, Monographien, Bildbände, Romane, Autobiografien, Comics und seit Kurzem auch Songcomic-Anthologien. 2020 erschien die vielbeachtete Comic-Sammlung „Sie wollen uns erzählen“ (hier ein Interview) zum 25jährigen Jubiläum der ersten Tocotronic-Scheibe. Mit „Stereo Total’s Party Anticonformiste“ (hier ein Interview) huldigten Anfang dieses Jahres der Verlag und zehn Künstler*innen dem Berliner Neo-Chanson-Duo Stereo Total und der 2021 verstorbenen Sängerin Françoise Cactus. Und für Oktober 2022 ist zum 50. Geburtstag von „Keine Macht für Niemand“ eine Comic-Anthologie zu Ton Steine Scherben im Entstehen.
Kürzlich erschien außerdem die Comic-Anthologie „Monarchie und Alltag“ zum Debüt der Postpunk-Band Fehlfarben: „Das beste Buch des Jahres ist eine Schallplatte“, hat Peter Glaser über das Debüt der Fehlfarben geschrieben. 1980 erschienen, gilt „Monarchie und Alltag“ als eines der wichtigsten deutschsprachigen Alben aller Zeiten, die Songtexte sind pointierte Beschreibungen der damaligen BRD-Gegenwart. Der Ventil Verlag hat nun aus dem Album ein Buch gemacht und elf Comiczeichner*innen und Illustrator*innen gebeten, je einen Song in Bilder umzuwandeln. Die Bandmitglieder Peter Hein und Thomas Schwebel haben Liner Notes beigesteuert. Das folgende Presse-Interview mit den beiden sowie Herausgeber Jonas Engelmann erscheint mit freundlicher Genehmigung des Ventil Verlags.
Eigene Lieder visuell umgesetzt betrachten zu können, ist für Musiker*innen ja meist nur bei Musikvideos möglich. Wie war das für euch, die Songcomics zu sehen?
Thomas Schwebel: Ich hab mich sehr gefreut, weil das ein origineller Ansatz ist und immer spannend zu sehen, wie jemand unsere Texte interpretiert.
Haben euch einige der Arbeiten überrascht? Im Sinne von: „Da wäre ich jetzt nie drauf gekommen?“
Thomas Schwebel: Ich bin kein Comic-Experte, insofern hat mich alles überrascht.
„Monarchie & Alltag“ entstand 1980. Spielten Comics damals eine Rolle in eurem Leben?
Peter Hein: Gefühlt waren Comics damals alles andere als präsent, die gab’s am Bahnhof und in linken Buchhandlungen, und das war‘s, Heftchen für Kinder am Kiosk, aber außer Ehapa und Carlsen gab’s nur Melzer/U-Comix und ein bisschen bei 2001, so ich mich erinnere…
Ich fing erst wieder so gegen 82/83 mit Comics an. Mix aus U-Comix und frankobelgischer Schule. Serge Clerc und Chris Scheuer, falls sich noch wer erinnert, waren Favoriten spezieller Art, Hugo Pratt fürs Hirn, „Michel Vaillant“ für den Kindskopf… Das Interesse endete dann mit dem Aufkommen dieser Ami-Dark-Wave-Graphic-Novels und vor allem der grässlichen Mangas. Außer Vaillant sammel ich fast nix mehr. Und natürlich wie bei allem, was man als Nischenprojekt damals „entdecken“ konnte und sammeln, egal ob Comics, Platten oder Modellautos, da war man froh um jede Neuerscheinung und kaufte alles, und dann wurde man plötzlich von der Masse der Veröffentlichungen erschlagen und hätte jede Woche im Lotto gewinnen müssen (oder nen Hit haben) oder sich dermaßen spezialisieren, dass es nicht mehr schön wäre.
Thomas Schwebel: Damals gab es nicht so viele wie heute, und das Medium hatte überhaupt kein Ansehen. Gelesen hab ich Donald, Asterix, von den Superhelden gefiel mir immer Batman besser als Superman, und erinnert sich noch jemand an Wastl? Das war ein deutscher Superhelden-Versuch… oder eine Parodie.
Welche Parallelen siehst du zwischen Comics und Popmusik? Gibt es überhaupt welche?
Thomas Schwebel: Wahrscheinlich das Abseitige, Unseriöse, das sollten sich beide immer bewahren.
Peter Hein: Themen verdichten und verkürzen von eng beschriebenen A4-Blättern auf einige Zeilen bzw. Sprechblasen.
Über welche Band würdest du gerne einen Comic lesen?
Thomas Schwebel: Jede Band, deren Texte visuelle Elemente enthalten, käme ja infrage. Aber wer tut das? Ein Bernd-Begemann-Songcomic wäre insofern richtig klasse.
Liest du abseits dieses Projekts heute noch Comics? Wenn ja, gibt es Favoriten?
Peter Hein: Ursprünglich eher heimlich „Fix und Foxi“ und „Lupo modern“, „Asterix“ und natürlich „ZACK“. Dann kamen Punk und die große Verleugnung und Verdrängung. Und danach, wie schon oben erwähnt, bin ich von Platten auf Comics gewechselt, hab hartnäckig Serien komplett versucht, aber nie geschafft. Entweder hörte das nach einigen Alben wieder auf, oder mir ging die Kohle aus, weil zu viel gleichzeitig rauskam.
Welche Comicfigur ähnelt dir am meisten? Oder welcher Charakter wärst du gerne?
Peter Hein: Gaston und Corto Maltese.
Thomas Schwebel: Ich glaube, wir sind alle und jederzeit Donald.
Welches war der erste Comic, den du dir gekauft hast? Und welcher der letzte?
Thomas Schwebel: „Micky Maus“-Hefte waren die ersten (ja, so alt sind wir schon!). Und als Kind hatte ich ein Beatles-Songbuch, wo Grafiker Bilder zu Beatles-Texten gemacht hatten. Das hat mich schon geprägt.
Peter Hein: Weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich „Felix“ oder „Fix und Foxi“, den letzten „Michel Vaillant“ grad letztens.
Welche drei Comic-Alben muss man haben?
Thomas Schwebel: Keine Ahnung, aber da es gerade von Lehrplänen gestrichen wird in Teilen der USA: „Maus“ natürlich.
Peter Hein: „Öl auf der Piste“, „Südseeballade“, „120 Rue de la Gare“. Ich hab sie aber alle drei nicht mehr, Kollateralschaden beim Umzug.
Interview mit Herausgeber Jonas Engelmann
Die Fehlfarben-Songcomics sind das dritte Projekt dieser Art nach dem Tocotronic-Songcomic „Sie wollen uns erzählen“ und „Stereo Total’s Party Anticonformiste“. Wie bist du darauf gekommen, diese Band für diese Serie auszuwählen?
Im Falle von Tocotronic und Stereo Total war das Konzept ja ein anderes: Das Gesamtwerk der Bands wird schlaglichtartig vorgestellt, ein Querschnitt anhand von Lieblingssongs der jeweiligen Zeichner:innen. Das sind tolle Projekte, ich wollte es aber gerne auch mal ausprobieren, die Songcomic-Idee etwas konzeptioneller anzugehen und ein einzelnes Album in eine Comicform zu überführen. Und wenn man sich die deutschsprachige Popgeschichte anschaut, gibt’s ja nicht allzu viele Alben, die ein solches Konzept tragen könnten, die Klassiker sind und gleichzeitig textlich genug Raum für Comic-Interpretationen lassen. „Monarchie und Alltag“ ist da eine der ersten Platten, die einem in den Kopf kommen. Umso schöner, dass sich die Band trotz anfänglicher Skepsis darauf eingelassen hat und mit dem Ergebnis sehr glücklich ist.
Hast du die Auswahl der Zeichnerinnen und Zeichner getroffen oder war die Band und ihr Umfeld involviert?
Die Band hat mir völlig freie Hand gelassen bei der Auswahl. Die Zusammenstellung ist der Versuch, einerseits Zeichner wie Frank Witzel an Bord zu haben, die die Fehlfarben zur Zeit der Veröffentlichung von „Monarchie und Alltag“ live gesehen haben, und andererseits junge Zeichner*innen, die 1981 noch gar nicht auf der Welt waren, nach ihrer Sicht auf die Band zu befragen. Also sozusagen einen generationenübergreifenden Blick auf die Platte zu werfen.
Es gab gewissermaßen den Arbeitsauftrag, die Platte danach zu befragen, was die einerseits sehr zeitgebundenen Texte voller Kalter-Krieg-Stimmung und die andererseits sehr offenen Bilder, die Peter Hein und Thomas Schwebel gefunden haben, für die Gegenwart noch für eine Rolle spielen bzw. ob sie auch noch etwas über die Gegenwart 40 Jahre später erzählen können.
Gab es einen Song-Text, bei dem du gedacht hast, das ließe sich nicht als Comic umsetzen?
Ich habe großen Respekt vor allen beteiligten Zeichner*innen, dass sie solch starke Umsetzungen für die Songtexte gefunden haben, die ja gerade dadurch, dass sie gleichzeitig so konkret wie abstrakt sind und außerdem mit sehr starken Bildern arbeiten – „Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat“ –, wahnsinnig schwer in einen Comic zu übersetzen sind. Außerdem hat mich beeindruckt, dass die Zeichner*innen, obwohl die Texte solchen Klassikercharakter haben, sehr unbefangen und auch ironisch mit ihnen umgegangen sind. Man lese nur mal „Grauschleier“ von 18 Metzger.