Nach dem Studium ins Fracking-Camp

Die kanadische Comiczeichnerin Kate Beaton galt mit ihren Kultur-Comic-Strips lange als Geheimtipp. Im vergangenen Jahr hat sie in Amerika die autobiografische Graphic Novel „Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden“ veröffentlicht – eine radikale Abrechnung mit der Ölindustrie. Damit landete sie nicht nur auf der Liste der Lieblingsbücher von Barack Obama, sondern auch auf der Bestseller-Liste der „New York Times“. Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen.

Kate Beaton brauchte Geld – sie hatte im Jahr 2005 ihr Studium beendet und musste ihren Studienkredit zurückzahlen. Mit einem Bachelor of Arts würde sie keine Arbeit finden, die so gut bezahlt ist, dass das geht. Auch weil sie aus dem strukturschwachen Nova Scotia kommt – denn da gibt es sehr viel Natur und wenig Arbeit. Und es gibt eine lange Abfolge von Menschen, die Nova Scotia verlassen, um in anderen Teilen von Kanada ordentlich Geld zu verdienen. Davon erzählt Kate Beaton und auch von den Zweifeln der Eltern, die nicht möchten, dass ihre Tochter ans andere Ende Kanadas geht, in ein hartes Arbeitermillieu. Gleichzeitig bezweifeln sie den Sinn ihres Studiums, mit dem sie doch genug Geld verdienen sollte.

Die Ölfelder sind wegen der Zerstörung der Umwelt und der Vertreibung von Indigenen in die Schlagzeilen gekommen, doch darum geht es Kate Beaton zunächst nicht. Kate Beaton zeichnet, wie sie auf den Ölfeldern ankommt, wie sie versucht, sich zu behaupten. Sie bekommt einen Job in der Werkzeugbutze, ein Lager, in dem sich die Arbeiter Ersatzteile und Werkzeuge besorgen. Die Arbeiter sind ausschließlich Männer, es gibt nur wenige Frauen, die in den Büros arbeiten. Und es herrscht ein rüder Ton.

Kate Beaton ist immer wieder mit herabwürdigenden, sexistischen Sprüchen konfrontiert. Sexuelle Verfügbarkeit wird unterstellt. Und als sie bei einem Vorgesetzten um einen anderen Arbeitsplatz bittet, bügelt der sie ab mit dem Verweis, dass das hier eine Männerwelt sei und sie gewusst hätte, worauf sie sich einlasse. Sexismus wird also auch von den Führungskräften als normal und hinzunehmen betrachtet.

Bild aus "Ducks" (Reprodukt/Zwerchfell)

Kate Beaton zeichnet all das in gleichförmigen schwarz-weißen Bildern, die mit Graustufen unterlegt sind. Gerade dadurch wird die Monotonie dieser Arbeit deutlich, die ungeheure Einsamkeit und die Ausweglosigkeit. Sie zeigt, wie sie ihr Zimmer im Camp verriegeln muss, weil Männer immer wieder „versehentlich“ in ihre Privatsphäre eindringen. Und sie zeigt, wie sie bei einer Party vergewaltigt wird und bei all dem Alkohol, den sie getrunken hat, zu schwach ist, um sich zu wehren. All das ist Kate Beaton passiert – und es verfolgt sie bis heute, wie sie im Nachwort schreibt.

Je mehr sich Kate Beaton an das Leben in den Ölfeldern gewöhnt – das dauert mehr als 250 Seiten –, desto mehr hat sie die soziale Frage im Blick: Warum werden die Männer so roh und übergriffig, wie sie es nie vorher erlebt hat? Männer, die aus derselben Gegend kommen wie sie selbst. Möglicherweise ist es die Einsamkeit, die Reizlosigkeit der Umgebung, die die Arbeiter in ihrer Männlichkeit noch toxischer werden lässt als an vielen anderen Orten. Viele der Männer versorgen mit dem Geld aus den Ölfeldern ihre Familien oder haben keine Chance auf eine andere Arbeit. Wer kein Geld hat, der hat keine Wahl.

Der Comic „Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden“ ist ein Einblick in eine fremde Welt, und er ist zugleich universell. Denn die Themen, die da verhandelt werden, wie Sexismus, der Umgang mit schlechten Chefs oder wie man sich in Gruppen behauptet, mit denen man wenig gemein hat, sind universelle Themen. Und auch sexuelle Belästigung und Vergewaltigung von Frauen ist leider weit verbreitet. Hier ist eine Trigger-Warnung angebracht: Kate Beaton schildert all das so beklemmend, das eigene Erinnerungen präsent werden. Die Dramaturgie des Comics, die den langen Prozess der Anpassung an diese Welt miterleben lässt, lässt die Leser*innen auch die schlimmen Erfahrungen mit aller Wucht nachvollziehen.

Was den Comic besonders groß macht: Kate Beaton verurteilt die übergriffigen Männer nicht. Sie zeigt vielmehr, wie dieses System der Ölförderung, das die Umwelt zerstört, das die Reservate der Indigenen vergiftet, eben auch das Leben der Arbeiter verkümmern lässt.

Hier findet sich ein Interview mit Kate Beaton.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 08.06.2023 auf: rbb Kultur

Kate Beaton: Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden • Aus dem Englischen von Jan Dinter • Reprodukt/Zwerchfell, Berlin/Stuttgart 2023 • 448 Seiten • Hardcover • 39,80 Euro

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.