„Wir haben versucht, keinen Pathos in die Erzählung zu legen“ – Im Gespräch mit Lewis Trondheim

Lewis Trondheim im Interview über seine aktuellen Comics „Mohnblumen aus dem Irak“ (Reprodukt), „Maggy Garrisson“ (Schreiber und Leser) und „Mickey’s Craziest Adventures“ (Egmont Comic Collection).

Bereits gestern gab es hier ein Gespräch mit Brigitte Findakly über ihre Zusammenarbeit mit Lewis Trondheim an der autobiografischen Erzählung „Mohnblumen aus dem Irak“.

 

Lieber Lewis Trondheim, Sie arbeiten schon seit vielen Jahren mit Ihrer Frau Brigitte Findakly zusammen – sie hat einen Großteil Ihrer Comics koloriert. Bei MOHNBLUMEN AUS DEM IRAK war Brigitte die Autorin und Sie haben Ihre Geschichten zeichnerisch umgesetzt. War es eine Herausforderung, die Arbeitskonstellation umzudrehen?

Normalerweise habe ich das letzte Wort. Doch diesmal war ich es, der die Botschaft und die Intentionen, die sie mit ihren Anekdoten ausdrücken wollte, verstehen musste und eine Möglichkeit finden musste, sie niederzuschreiben. Anschließend sagte sie, ob ihr das Ergebnis gefiel oder nicht. Aber da wir schon so lange zusammenarbeiten, gab es keine Streitigkeiten und wir haben uns nicht scheiden lassen.

Wie viel haben Sie zu dem Plot von MOHNBLUMEN AUS DEM IRAK beigetragen?

Ich musste die Erzählung nach ihren Erinnerungen verfassen. Und anschließend einen Weg finden, sie zu illustrieren, ohne sie immer nur grafisch zu paraphrasieren. Die Zeichnungen sollten mehr ausdrücken.

Für Ihre eigenen autobiografischen Arbeiten haben Sie einen sehr charakteristischen Zeichenstil entwickelt und zeichnen sich selbst und andere als Tierfiguren. Für MOHNBLUMEN AUS DEM IRAK haben Sie ihren gewohnten grafischen Stil geändert. Warum?

Tiercharaktere hätten zu viel Distanz geschaffen. Ich wollte, dass sich der Leser den Figuren nahe fühlt. Wir haben versucht, keinen Pathos in die Erzählung zu legen. Die Geschichten bleiben stets faktisch. Wir haben uns nicht erlaubt, Dialoge der Epoche nachzuschreiben oder neu zu erfinden. Die Zeichnungen sollten jedoch leichter zugänglich und warmherzig sein. Vor allem auch, weil wir Fotos mit eingebaut haben. Es wäre komisch gewesen, richtige Menschen auf den Fotos zu zeigen und daneben Enten in Dschellaba.

Fast zeitgleich mit MOHNBLUMEN AUS DEM IRAK erscheinen zwei weitere Projekte von Ihnen auf Deutsch, die Ihre künstlerische Bandbreite sehr schön verdeutlichen. Der erste Band der Krimireihe MAGGY GARRISSON mit Stéphane Oiry (bei Schreiber und Leser) und MICKEY‘S CRAZIEST ADVENTURES mit dem Zeichner Nicolas Keramidas (bei Egmont Comic Collection). Können Sie uns etwas über die beiden Reihen verraten?

Stéphane Oiry und ich wollten schon lange einmal zusammenarbeiten. Ich habe ihn gefragt, was für eine Geschichte er wolle, und er antwortete: einen Krimi. Das hat meinen Enthusiasmus erst einmal gedämpft. Diese Gattung wurde schon tausendmal ausgeschlachtet. Schwierig, da jenseits der bekannten Strickmuster zu denken und das Genre zu erneuern. Doch indem wir eine weibliche Heldin gewählt haben, die noch dazu nicht dem Typus der ‚femme fatale‘ entspricht und indem wir uns in ihren Kopf hineinversetzen, mittels eines inneren Monologs, der ihre Gedanken erzählt, fühlte ich mich der Figur näher und konnte ihr schneller eine Identität geben. Und ich wollte mehr eine Milieustudie als einen Krimi. Im ersten Album gibt es, glaube ich, nur zwei Faustschläge. Den Rest der Zeit macht Maggy ihre Einkäufe und stellt ein paar Ermittlungen in ihrer Umgebung an. London als Setting bot sich an, weil Stéphane dort über zwei Jahre gelebt hat und Lust hatte, die Stadt zu zeichnen.

Und was das Disney-Projekt anbelangt: Jacques Glénat war schon immer ein großer Fan der Disney-Geschichten. Er hat daher Druck gemacht, damit auch in Frankreich anerkannte Autoren Disney-Comics machen. Keramidas hat mich kontaktiert, um mich zu bitten, ihm ein Szenario zu schreiben. Ich war sofort begeistert, denn Carl Barks und Gottfresson haben mich durch meine Jugend begleitet. Das Problem war, dass Keramidas bereits einen sehr Disney-lastigen Zeichenstil hat. Also hatte ich die Idee, eine Faksimile-Geschichte zu machen mit dem Aufhänger, dass wir Comicseiten aus den Sechziger Jahren wiedergefunden hätten, aber nicht alle. Die Grundlage unserer Geschichte war also die Auslassung von handlungsarmen Plot-Seiten – unsere Story hüpft von einer Action-Seite zur nächsten. Das entsprach auch dem Lektüreerlebnis meiner Jugendjahre, als ich immer zu meinem Cousin ging, der ein Abo des „Mickey Mouse“-Magazins hatte und dann Monat für Monat ein paar Episoden verpasste. Also musste ich in meinem Kopf rekonstruieren, was passiert sein konnte.