Zu Songs der legendären Erfurter DDR-Punkband Schleimkeim haben verschiedene Zeichner*innen in der Anthologie „Betreten auf eigene Gefahr“ Geschichten gezeichnet. Die Texte verorten sie mal in der damaligen Zeit oder übertragen sie auf die Gegenwart.
Punk ist der musikalische Ausdruck von Rebellion. Kein Wunder also, dass die DDR-Führung Punkmusik als Provokation empfand. Tatsächlich war es auch ein politischer Akt, als drei Jungs aus Stotternheim bei Erfurt im Jahr 1980 Schleimkeim gründeten. Die Band wurde schnell zum Idol für Jugendliche, denen die Bevormundung durch den Staat zuwider war. Im Ventil Verlag ist ein Buch mit Songcomics zur Schleimkeim-Musik herausgekommen.
„Diktator“ heißt der Song von Schleimkeim, den sich der Leipziger Illustrator PM Hoffmann für seinen Songcomic im Band „Betreten auf eigene Gefahr“ ausgesucht hat. Immer wachsam ist der knorrige alte Mann, den er dazu zeichnet. Mit Schürze überm Pullover und Besen in der Hand wacht er über den Innenhof. Mit Strohhut und nacktem Oberkörper hat er die Gartenanlage im Blick. Unangenehm ist dieser Typ – aber doch eigentlich zu harmlos für einen Diktator. Für PM Hoffmann ist dieser knorrige Mann eine typische Figur aus seiner DDR-Kindheit. Ein Aufpasser und Treppenhausschnüffler. Ein kleiner Diktator, der den großen Diktator erst möglich mache. Ohne die wären Diktatoren gar nicht möglich, sagt er, das seien die kleinen Helfer des großen Täters. PM Hoffmann zeigt den Treppenhausschnüffler mit wutverzerrtem Gesicht. Im Hintergrund sind Politiker wie Wladimir Putin oder die rechtspopulistische Marine Le Pen gezeichnet. Ein Kommentar zu den Hassausbrüchen von Wutbürgern, die Rechtspopulisten immer wieder als ihre Vorbilder nennen.
Punkmusik hat PM Hoffmann schon in der DDR kennengelernt. Bei einem Ferienjob in der Leipziger Konsumzentrale. Damals war er 15 Jahre alt und hat mit Punks zusammengearbeitet, die in der Pause ihren Kassettenrecorder rausgeholt haben. PM Hoffmann war von der Musik tief beeindruckt. Davon erzählt Hoffmann in einem Text zu seinem Comic.
Lara Swiontek schreibt, dass sie Schleimkeim erst kürzlich entdeckt und durch die Bandgeschichte viel über die Subkultur der DDR gelernt habe. Sie hat den Song „Bundesrepublik“ gezeichnet – darin spielt eine punkige Puppenspielerin die rechte Naziszene der Bundesrepublik nach. „Bundesrepublik“ war ein ironischer Kommentar der Band auf die Ausreisewelle aus der DDR Ende der 80er Jahre. Für Swiontek verkörpert dieser Song das Gefühl der Ausweglosigkeit. Im Westen sei alles Scheiße, da seien Nazis und Reiche, die die Armen unterdrücken. Und im Osten sei eben auch alles nicht gut. Schleimkeim reagierte darauf mit Rebellion: Weil eh alles egal sei, könne es auch zerstört und ins Lächerliche gezogen werden.
Die Band war gegen den Kapitalismus – aber eben auch gegen die DDR mit ihrer Spießerkultur. Frank Willmann ist Experte für DDR-Alltagskultur und hat den Schleimkeim-Comicband herausgegeben. In Zwischentexten erzählt er, wie die Band zum Idol für unangepasste Jugendliche wurde – und wie sie durch die Stasi beobachtet wurde.
Der Leipziger PM Hoffmann ist bis heute von Schleimkeim beeindruckt. Weil die Band sich treu geblieben sei, auch unter widrigsten Umständen in der DDR. Vermutlich habe sich so ein starkes Band zwischen Musikern und Publikum gebildet. Im Jahr 1996 löste sich Schleimkeim auf, fand später wieder zusammen und spielt bis heute immer wieder einzelne Konzerte, die meistens ausverkauft sind.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 09.05.2023 auf: MDR Kultur
Frank Willmann (Hrsg.): Betreten auf eigene Gefahr • Ventil Verlag, Mainz 2023 • 128 Seiten • Hardcover • 25,00 Euro
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.