„Ich wollte die Bühne in das Buch bringen“

Der Gießener Comickünstler Andreas Eikenroth (ICOM-Preisträger für „Die Schönheit des Scheiterns“) nimmt sich Georg Büchners nie vollendeten Dramas „Woyzeck“ an und wandelt die Geschichte über Mord, Machtmissbrauch, Unterdrückung, Liebe und Verrat in eine expressive Comic-Inszenierung um, die sich der erzählerischen Mittel des Theaters bedient und grafisch an Maler*innen des frühen 20. Jahrhunderts wie George Grosz, Max Liebermann, Jeanne Mammen oder Heinrich Zille gemahnt. Im expressiven Comicstil gezeichnet, verlegt Eikenroth die Handlung des Dramas über den machtlosen Soldaten Woyzeck, der nach zahllosen Demütigungen durch seine Vorgesetzten einen Mord begeht und hingerichtet wird, aus dem 19. Jahrhundert in eine diffuse, aus der Zeit gefallene Weimarer Republik. Comic.de präsentiert das folgende Presse-Interview mit Andreas Eikenroth mit freundlicher Genehmigung der Edition 52.

Lieber Andreas, für die Leser*innen, die dich mit deiner „Woyzeck“-Adaption zum ersten Mal wahrnehmen: Magst du uns ein bisschen über dich und deinen Werdegang in Sachen Comics erzählen?
Wie es wohl bei den allermeisten Comiczeichnern ist, habe ich nie konkret mit dem Zeichnen angefangen, sondern nach der Schule einfach nie damit aufgehört. Das erste Mal, dass ein Comic von mir sich vom Schreibtisch aus unters Volk getraut hat, war Anfang der 1990er Jahre. Mit einigen comicaffinen Kumpels gründete ich das Comic-Gratismagazin „The Kainsmal“. Dort konnten wir uns zeichnerisch austoben und es lag werbefinanziert in den Kneipen, Läden und Kinos Mittelhessens aus. Der Spaß hielt sich acht Ausgaben lang. Danach brachte ich einige Hefte im Eigenverlag heraus, „Hotte & Bolle“,„Chez Kiosk“ und „Soviel Warum“. Alles bunte Sampler mit hoher Punkrock-Attitüde. Zu der Zeit lernte ich dann auch auf dem Erlanger Comic-Salon Frank Plein, Sarah Burrini und Ans de Bruin kennen. Zusammen waren wir als „PonyXPress“ die ABBA der Comicszene und veröffentlichten eine Handvoll lustiger A5er zu verschiedenen Themen. Das erste längere Werk von mir war dann im Prinzip auch schon eine Literaturadaption. Nach den Kurzgeschichten aus dem Buch „Ohne Amok“ des mit mir befreundeten Autors Paul Hess konstruierte ich eine Geschichte, die, auch im Eigenverlag, unter dem Titel „Tage wie Blei“ erschien. Mit der Idee zu meinem nächsten Band „Die Schönheit des Scheiterns“ klapperte ich dann die Verlage ab. Uwe und Thomas von der Edition 52 gefielen die Sachen und seitdem bin ich dort. Als nächstes kam „Hummel mit Wodka“ dazu. Eine eigenständige Geschichte mit dem gleichen Cast aus der „Schönheit des Scheiterns“.

Andreas Eikenroth (Autor und Zeichner): „Woyzeck. Eine grafische Inszenierung nach den Fragmenten von Georg Büchner“.
Edition 52, Wuppertal 2019. 64 Seiten. 15 Euro

Du zeichnest seit Jahren für die regionale Zeitung deiner Heimatstadt Gießen Comicstrips. Bist du so was wie der inoffizielle Stadtchronist? Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und vor welche Herausforderungen wird man gestellt, wenn man versucht den Alltag in und die Atmosphäre einer Stadt einzufangen?
Die Zusammenarbeit entstand schlicht aus Geldmangel meinerseits. Da sich mit Comic im Independent-Bereich nicht wirklich viel Geld machen lässt, überlegte ich mir eine lokale Serie, die ich dem Gießener Anzeiger anbot. Der hatte dann auch Gefallen an den ersten Teststrips und übernahm die Serie. Der erste Strip erschien 2008 und läuft seitdem wöchentlich. Ich hatte mir anfänglich gar keine Gedanken gemacht, ob der Alltag einer mittelgroßen Stadt wie Gießen überhaupt genug Material für einen wöchentlichen Comic bietet. Tatsächlich gestaltet sich das auch manchmal schwierig. Bisweilen gibt es einen Überschuss an Themen. Da muss ich dann auswählen, welchem Thema ich den Vorzug gebe. Aber eher noch kann es geschehen, dass die tagespolitischen Sachen überschaubar spannend sind: Irgendein Laden macht zu, ein Parkhaus soll gebaut werden, in den Grünanlagen wurde randaliert… Aber anscheinend lässt es sich doch trainieren, zu jedem Thema eine Pointe zu finden. Jedenfalls läuft der Strip seit Beginn ohne Unterbrechung, da bin ich tatsächlich so etwas wie der Stadtchronist geworden.

In deinen Comicstrips und längeren Geschichten erzählst oft aus deinem eigenen Leben oder zumindest an dein Leben und deine Erlebnisse angelehnt. Inwieweit eignet sich der Comic, um Alltagsgeschichten und Zwischenmenschliches zu vermitteln?
Ausgezeichnet eignet sich der Comic dafür. Gerade weil man durch Gedankenblasen oder Textkästchen Platz für eine zweite Erzählebene hat und auch durch den Zeichenstil eine Stimmung transportieren kann. Aber dass ich eher Geschichten erzähle, die halbwegs realistisch sein könnten, ist einfach nur Geschmackssache. Superhelden, Zombies oder sprechende Tiere fand ich halt nur bis in meine zwanziger Jahre interessant, auch wenn die Themen wohl dem Großteil des Comicmarktes abdecken. Aber da mich das möglicherweise echte Leben am meisten interessiert, erzähle ich davon.

Seite aus „Woyzeck“ (Edition 52)

Mit „Woyzeck“ erscheint nun deine zweite buchlange Literaturadaption. Wie kam es zu dem Projekt? Was verbindet dich mit Büchner und seinem Werk und warum ausgerechnet „Woyzeck“?
„Woyzeck“ lag schon seit geraumer Zeit in meinem Hinterkopf. Was zum einen daran liegt, dass Gießen zusammen mit Darmstadt wohl für Büchner die Kulisse des Dramas war, da er eine Weile in Gießen studierte. Zudem arbeite ich hauptberuflich am Gießener Stadttheater und bin mit dem Stoff schon in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen, von Schauspiel über Tanz und Oper, in Berührung gekommen. So gesehen kam ich da gar nicht mehr um das Thema herum. Außerdem ist der Stoff eben zeitlos und aus dem Leben gegriffen. Dem Drama liegt ja ein echter Fall zugrunde. Woyzeck war ein Soldat, der wegen Mordes hingerichtet wurde. Büchner hat daraus eine Geschichte über Liebe und Verrat, Demütigung und Unterdrückung geschrieben, die heute immer noch ihre Gültigkeit hat.

Auf dem Cover deiner Graphic Novel bezeichnest du das Buch als „Inszenierung“, und tatsächlich ist deine Adaption nicht wie sonst so oft im Comic eine Nacherzählung des Plots oder des reallen Kriminalfalls, sondern fühlt sich wirklich wie eine Theaterinszenierung an, komplett mit dem dramatischen Originaltext von Büchner. Warum hast du dich für diese Art der „theatralischen“ Adaption entschiedenen?
Da „Woyzeck“ ein Theaterstück ist, wollte ich die Bühne in das Buch bringen. So soll also jede Seite wie das Bühnenbild einer Szene sein. Da das Drama ja nie vollendet wurde, sondern in mehreren Fragmenten vorliegt, hatte ich zudem die Aufgabe des Dramaturgs, den Text so zu bearbeiten, dass die Geschichte am schlüssigsten ist. Das Unmittelbare eines Bühnenstückes wollte ich unbedingt haben, aber kombiniert mit den erzählerischen Möglichkeiten des Comics.

Seite aus „Woyzeck“ (Edition 52)

Georg Büchner hatte „Woyzeck“ ja nie vollendet und der Nachwelt verschiedene Fassungen hinterlassen. An welche Vorlagen hast du dich in deiner Umsetzung gehalten? Wie geht man als Autor vor, wenn das Ausgangsmaterial im wahrsten Sinne des Wortes fragmentiert ist? Hattest du auch andere Adaptionen wie z. B. die Klaus-Kinski-Version von Woyzeck mit einbezogen?
Klar, den Kinski-Film hab ich mir natürlich auch noch mal angeschaut. Aber vorrangig alle handschriftlichen Versionen von Büchner. Aus dem ganzen Material habe ich mir die Szenen dann so zusammengestellt, dass sie für mich den besten Spannungsbogen ergaben. Es gibt ja eine letzte Fassung, die schon grob die Richtung vorgibt, der habe ich Szenen zugefügt, andere gestrichen und ein bisschen umgestellt. Zudem habe ich die Sprache ein klein wenig bearbeitet. Ich wollte „Woyzeck“ auf keinen Fall modernisieren, die Sprache funktioniert ja heute noch. Aber einige Worte sind einfach nicht mehr geläufig, die habe ich angepasst. Das beste Beispiel ist der „umgestürzte Hafen“ der bei Generationen von „Woyzeck“-Lesern bestimmt seltsame Bilder im Kopf entstehen ließ. Tatsächlich aber war mit dem „Hafen“ einfach nur ein „Nachttopf“ gemeint.

Im Vorwort schreibst du, dass dich für den Band künstlerisch vor allem deutsche Maler der Weimarer Republik wie Max Liebermann, Egon Schiele und vor allem George Grosz inspiriert haben. Kannst du uns etwas erzählen, was dich an den Arbeiten und dem Stil von Grosz und seinen Zeitgenossen fasziniert und inwiefern ihre Kunst und ihre Weltanschauung in deinen „Woyzeck“ einging?
Für mich ist die spannendste Epoche der Malerei die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als man erkannte, was Malerei alles kann und Strömungen wie Fauvismus, Expressionismus, Dadaismus oder Futurismus Schlag auf Schlag die Kunst revolutionierten. Und auch, dass die Kunst dieser Zeit zum Teil hochpolitisch war. Und da ich Woyzeck vom Anfang des 19. Jahrhunderts in den Anfang des 20. Jahrhunderts, wo das Stück auch erst seine erste Bühnenpremiere erlebte, verlegte, lag es für mich auf der Hand, den Zeitgeist über die damaligen Künstler zu transportieren.

Seite aus „Woyzeck“ (Edition 52)

Liege ich arg falsch, wenn ich auch in deinen Seitenlayouts den Einfluss Grosz‘ und seiner Stadtansichten erkenne? Im Gegensatz zu deinen früheren Arbeiten benutzt du keine Panellinien, sondern zeichnest jede Seite als eine große Illustration, in der einzelne Szenen und Dialogfetzen überlappen. Warum hast du dich für diese Art des Seitenaufbaus entschiedenen?
Nein, da liegst du nicht falsch. Ich habe die Stadtansichten von Grosz, aber auch Zille oder Mammen mit einfließen lassen, um eben die Optik der Weimarer Republik aus künstlerischer Sicht zu illustrieren. Der Seitenaufbau soll das theatralische Element unterstützen, mehr Bewegung in die Figuren bekommen. Der Wahnsinn, der sich in Woyzeck breit macht, das Konfuse, soll durch das Layout unterstrichen werden, so wie es auch das schräge Bühnenbild bei „Das Cabinett des Doktor Caligari“ erreicht.

Viele werden „Woyzeck“ noch aus dem Deutschunterricht kennen und evtl. nicht in guter Erinnerung haben. Was würdest du den Woyzeck-Skeptikern sagen? Warum sollte man heute noch „Woyzeck“ lesen?
Das Thema ist zeitlos. Liebe und Wahnsinn, Unterdrückung und Machmissbrauch. Büchner konnte sein Drama leider nie zu Ende erzählen, darum müssen sich Schüler mit den Fragmenten herumprügeln. Das Drama wird oft überinterpretiert, bis die Schwarte kracht. Aber wenn man sich auf die Geschichte und die Figuren einlässt, erlebt man eine unglaublich starke Geschichte mit einem gebrochenen Helden.

Seite aus „Woyzeck“ (Edition 52)