Gegen Scheiß-Jobs

Daria ist Polin, fünfundzwanzig Jahre alt, interessiert sich für Punkrock und lebt seit einiger Zeit im schwedischen Malmö, um dort Illustration und Comiczeichnen zu studieren. Die Finanzierung ihres Studiums mittels eines regulären Beschäftigungsverhältnisses ist ihr nicht möglich, da ihr die dazu nötige Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt wird. Der ewige kuriose Kreislauf: Ohne gültige Papiere kein regulärer Job, ohne Job keine Papiere.

Schließlich erhält sie doch noch eine Anstellung als Kellnerin in einem indischen Restaurant, den sie mit Sanad, dem Inhaber des Ladens, einfach per Handschlag besiegelt. Nach und nach bekommt sie einen Einblick in die Arbeitswelt der „Sans Papiers“ und die dort vorherrschenden katastrophalen Verhältnisse. Doch sie lässt sich nicht unterkriegen, nimmt Kontakt zu einer kleinen radikalen Gewerkschaft auf (weil sie die große Einheitsgewerkschaft links liegen lässt) und bereitet den innerbetrieblichen Aufstand vor. Auch wenn ihr fürs Ganze der Erfolg letztlich verwehrt bleibt, kann sie zumindest die eigenen Rechte durchsetzen und ihren nunmehr ehemaligen Chef in seine Schranken weisen.

Daria Bogdanska (Autorin und Zeichnerin): „Von unten“.
Avant-Verlag, Berlin 2019. 200 Seiten. 22 Euro

Schon allein seines Inhaltes wegen möchte ich das Buch gut finden und lobpreisen. Die Konzentration auf die leider sehr oft alles andere als angenehmen Facetten des Arbeitslebens, insbesondere im Rahmen prekärer bzw. illegaler Arbeitsverhältnisse, kommt im zeitgenössischen Comic leider nur sehr selten vor. Vielleicht gilt das Thema den Autor*innen und Zeichner*innen als zu unsexy, vielleicht ist es ihnen aber auch nur ein Buch mit sieben Siegeln, weil diese trotz ihres selbst relativ prekären Creative-Worker-Daseins nur selten die Erfahrung teilen, für viel Stress, wenig Geld und null Anerkennung in irgendwelchen Scheiß-Jobs festzuhängen.

Insofern scheint Daria Bogdanskas Comicromandebüt tatsächlich eine glückliche Ausnahme darzustellen, da es über den nicht ganz unwesentlichen Teil des Tages der allermeisten Menschen erzählt, der zunächst in nichts anderem besteht, als mittels einer mehr oder weniger sinnvollen Beschäftigung den Lebensunterhalt zu verdienen. Dass die Autorin weiß, wovon sie spricht, wenn sie über Abhängigkeit, Ausbeutung, Klassengesellschaft und Arbeitskampf erzählt, wird aufgrund der autobiografischen Erzählweise klar.

Daher trifft hier scheinbar gerade nicht zu, was der Philosoph Giullaume Paoli zum aktuellen Siegeszug der autobiografischen Literatur zu sagen hatte: Dass sich nämlich die zeitgenössischen Schriftsteller*innen der „Selfiction“ allzu gern im privaten Exil einrichten, die „wertliberale Konsenszone“ nicht mehr verlassen und sich sowie ihre Leser*innen einer „konfliktfreien Prosa des Herzens“ überlassen würden. Auch in dieser Hinsicht ist das Buch also eher die Ausnahme als die Regel, weil es den gesellschaftlichen Konflikt über (Nicht-)Anerkennung und (Nicht-)Teilhabe zum eigentlichen Sujet macht.

Als illegal Beschäftigte ohne Aufenthaltserlaubnis erfüllt der Erzählerinnenavatar der Comicautorin dabei sämtliche Bedingungen der intersektionalen Dreifaltigkeit: nämlich als Migrantin, als Lohnarbeiterin und als Frau diskriminiert und ausgebeutet zu werden. Bei ihrer Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die unhaltbaren Zustände an ihrem Arbeitsplatz zeigt sich aber zugleich auch Darias Privilegierung gegenüber den Beschäftigten außereuropäischer Herkunft. Deren Verzweiflung ist so groß, dass sie die Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitgeber scheuen, sodass Daria nach ihrer Kündigung mithilfe der Gewerkschaft zwar ihr Recht bekommt und sich auszahlen lässt, sie für ihre pakistanischen Kolleg*innen aber nichts mehr tun kann.

Der Konflikt bleibt also ungelöst, die Macht- und Ausbeutungsverhältnisse sind wie sie sind. Was lässt sich dagegen tun? Einerseits (ein-)sehen, wie wir selbst Teil dieser Verhältnisse sind – und dabei nicht immer auf der hellen Seite der Macht stehend. Andererseits, und das ist sozusagen die „frohe Botschaft“ des Buches, die ungeheuren Potentiale und Chancen von Arbeitervereinigungen wieder wertschätzen. Bogdanska beschreibt in einem Presse-Interview des Avant-Verlags, dass sie – wie die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Gegenwart – gar keine Vorstellung von der Wichtigkeit gewerkschaftlicher Organisation hatte. Diesen Vorstellungsraum wieder zu eröffnen, dem Comic als genuinen Konfliktmedium gerecht zu werden und ganz nebenbei eine spannende Geschichte zu erzählen, das hat die Autorin jedenfalls erreicht. So lassen sich auch ein paar Schwächen des Buches (die punktuelle Textlastigkeit, eine recht banale Liebesgeschichte als zweiter Erzählstrang) verzeihen.

Diese Kritik erschien zuerst am 19.06.2019 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]

Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Von unten“.

Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.

Seite aus „Von unten“ (Avant-Verlag)