„Lieber Bukowski als Rosamunde Pilcher“

Der Gießener Comickünstler Andreas Eikenroth hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Werk des Vormärz-Autors Georg Büchner in Comicbilder zu übertragen. 2019 hat er das berühmte Dramenfragment „Woyzeck“ in eine expressive Comic-Inszenierung, die sich grafisch an Maler*innen des frühen 20. Jahrhunderts wie George Grosz, Max Liebermann oder Heinrich Zille anlehnt, umgewandelt. Dieses Konzept setzt er auch bei seiner Adaption von Büchners 1839 posthum veröffentlichter Erzählung „Lenz“ fort. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung der Edition 52.

Andreas Eickenroth: „Lenz“.
Edition 52, Wuppertal 2021. 80 Seiten. 18 Euro

Lieber Andreas, wir haben uns vor zwei Jahren schon unterhalten. Damals anlässlich deiner „Woyzeck“-Comicadaption. Danke, dass du dir auch in Sachen „Lenz“ Zeit für uns nimmst. Mit deinem neuen Comic kehrst du wieder zu Georg Büchner zurück. Kannst du uns verraten, was dich an diesem Autor so fasziniert und warum du dich künstlerisch mit ihm auseinandersetzen wolltest?

Büchner ist einerseits sensibel, fast schon romantisch, hat aber andererseits eine enorme revolutionäre Wut in sich. Ein Lebensgefühl, das auch heute noch wirkt, das ist fast schon Prä-Punk. Zudem hat er die Literatur neu erfunden und den Schwachen eine Stimme gegeben.

„Lenz“ wurde posthum veröffentlicht und ist eines der wenigen Werke, die Büchner – er starb mit nur 23 Jahren – vollendet hat. Was hat den Reiz der kurzen Novelle auf dich ausgemacht?

Das besondere an „Lenz“ ist die atmosphärische Beschreibung der Szenerie, der Natur, die den Leser direkt mitnimmt und in diese winterliche Bergwelt eintauchen lässt. Büchner stieß wohl seinerzeit auf die Tagebücher von Oberlin, dem Pfarrer, der Lenz aufnahm, und ließ sich dadurch zu seiner Geschichte inspirieren.

Der Gegenstand von „Lenz“ ist der Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz, der Ende des 18. Jahrhunderts gelebt hat. Hast du dich für deine Adaption auch mit ihm und seinem Werk beschäftigt bzw. anderen Werken, die ihn als literarische Figur bearbeitet haben, oder dich rein auf Büchners Text beschränkt?

Über Lenz habe ich unerheblich mehr als seinen Wikipedia-Eintrag gelesen. Was meines Erachtens auch ausreicht. Es geht in erster Linie um einen jungen Mann, der in seiner Verzweiflung Hilfe bei einem Pfarrer in diesem abgelegenen Bergdorf sucht und um seine Wanderung in den Wahnsinn. Das Lenz zu Lebzeiten kein unbekannter Schriftsteller war, mit Herder und Goethe verkehrte und zudem auch noch unglücklich in eine Ex des Dichterfürsten verknallt war, sollte als Vorabwissen eigentlich ausreichend sein.

Seite aus „Lenz“ (Edition 52)

Wie hast du dich der Umsetzung von Büchners Vorlage in eine Bildererzählung genähert? War es für dich eine größere Herausforderung, den Text in Bilder zu übertragen als bei „Woyzeck“, der als Drama bzw. Dramenfragment bereits eine gewisse Drehbuchstruktur innehatte, an der man sich dramaturgisch orientieren konnte?

Ich mag das Zitat des Büchner-Biografen Hermann Kurzke, der meinte, dass „Lenz“ wie gemalt wirke, obwohl es nur geschrieben sei. Diese Gemälde wollte ich mit meinen Zeichnungen realisieren. Ich wollte das Gefühl, welches beim Lesen entsteht, in Bilder übertragen.

„Woyzeck“ und „Lenz“ sind Erzählungen über Menschen, die unter geistigen Erkrankungen und vor allem Wahnvorstellungen und Realitätsverlust leiden. Welchen Blick hatte Büchner auf das Thema geistige Erkrankung und was hat dich als Comickünstler an diesem Aspekt der Werke gereizt?

Da Büchner Medizin studierte, hat er sich wohl für die damals noch kaum erforschten Geisteskrankheiten interessiert. Und dass Büchner eben keine strahlenden Helden, sondern gebrochene Charaktere als Hauptdarsteller hat, macht ihn so spannend. Lieber Bukowski als Rosamunde Pilcher.

Wir hatten ja schon bei „Woyzeck“ darüber gesprochen, wie wichtig Maler wie Max Liebermann und George Grosz als Einflüsse für deine Adaption waren. Bei „Lenz“ scheint mir dieser Aspekt noch weiter ausgebaut worden zu sein. Für die Halluzinationen von Lenz bedienst du dich bei den Höllengestalten von Hieronymus Bosch, man erkennt auch so immer wieder Verweise auf Maler wie Johann Heinrich Füssli oder Caspar David Friedrich…

Seite aus „Lenz“ (Edition 52)

Einen Teil der Erzählung macht das Künstlergespräch zwischen Lenz und seinem Freund Kaufmann aus. Lenz war ja ein kunstsinniger Mensch, und diese Seite von ihm habe ich mit den einfließenden Bilderzitaten unterstreichen wollen.

Und könntest du uns zum Schluss noch ein bisschen über deine Seitengestaltung erzählen? Wie bei „Woyzeck“ verzichtest du komplett auf Panels, sondern erzählst in seitengroßen ineinander verschachtelten Tableaus, in denen sich tatsächliche Geschehnisse, Visionen und Träume vermischen.

Ich mag die theatrale Herangehensweise, die mit den ganzseitigen Tableaus möglich ist. Ich finde, für Bühnen- und Literaturadaptionen kann man so den Werken eine völlig neue Dimension hinzufügen, statt nur die Geschichte zu erzählen. Zudem bringt mir diese Art zu zeichnen viel größere Befriedigung, als in kleine Panels „Talking Heads“ einzufügen.

Wirst du dich auch weiterhin mit Büchner beschäftigen? Viel Auswahl hat man ja nicht mehr – „Dantons Tod“, „Leonce und Lena“ und seine Texte aus dem Hessischen Landboten. Welches Werk willst du dir als nächstes vorknöpfen?

Klar, schon bei der Arbeit an „Woyzeck“ kam mir der Gedanke, Büchner komplett zu machen. Ich bin auch schon direkt an den Zeichnungen zu „Dantons Tod“. Den hab ich mir wegen seines großen Ensembles hinten angestellt. Aber das ist es, was ich an den Büchner-Adaptionen mag, ich bin dort gleichzeitig Intendant, Dramaturg, Regisseur und Bühnenbildner und lasse Theater auf dem Papier entstehen. Ich arbeite seit 25 Jahren am Theater, da kann ich einige Erkenntnisse einfließen lassen.

Seite aus „Lenz“ (Edition 52)